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Hilfe ist keine Seuche

Andreas van Hooven11. Juli 2002

Ihr Geist infiziert. Ihre Inkubationszeit ist von Dauer und sie überträgt sich nicht von allein: Humanitäre Hilfe. Darin gleicht sie einem ihrer Gegner: AIDS.

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Wo Menschen sind, kann AIDS sein.Bild: AP

Die Reiseroute einer Infektion ist die des Menschen. Pocken zum Beispiel waren Schiffspassagiere. 1519 landeten sie mit dem spanischen Eroberer Cortés im Land der Azteken und rafften ein Drittel der Bevölkerung in zwei Jahren dahin. Nicht kurze Inkubationszeit und Ahnungslosigkeit der Azteken machten das Virus so schnell. Cortés führte Krieg und ließ die Pocken wüten, wie eine Biologische Waffe. Erst 1980 erklärte die Weltgesundheitsbehörde (WHO) Pocken für ausgerottet. 1981 stach wieder ein Virus in See: HIV. Am 2. Juli 2002 verlasen die Vereinten Nationen (UN) in Genf einen traurigen Reisebericht.

Der Mensch als Infrastruktur

Die HIV-Infektionsrate macht nicht auf "einem natürlichen Niveau" Halt. Dieser Satz im AIDS-Report 2002 belegt: Es existierte der Gedanke, ein Teil der Menschheit bliebe verschont. Auch zeigt der Bericht Irritationen, dass politische oder wirtschaftliche "Insellagen" vergangener Tage – Schwellenländer – allmählich Probleme mit dem HIV-Virus bekämen. Die Menschen vor Ort sehen das Problem schon länger. In der ukrainischen Hafenstadt Odessa vegetieren Erkrankte schneller denn je ihrem Tod entgegen. "Wir haben zwar das Wissen. Aber uns fehlen die Mittel," sagt Wladimir Musijenko, stellvertretender Leiter einer AIDS-Klinik.

Selbst Wissen bringt diese Länder kaum weiter. Fehlt die Infrastruktur zur Verbreitung von Hilfe, so scheitern selbst gut gemeinte Projekte. Die kostenlose Abgabe von Viramune durch den Pharma-Hersteller Boehringer ist ein Beispiel. Nur fünf Länder in Afrika gaben an, sie könnten das Medikament überhaupt flächendeckend austeilen. Bei Geburten verhindert es die Ansteckung der Babys durch infizierte Mütter zu 50 Prozent. Das zentralafrikanische Kongo setzt es jährlich bei 3000 Geburten ein. Mehr ließe sich laut Gesundheitsbehörde nicht machen. Zeitgleich bringt der Kongo 137.000 weitere Kinder zur Welt.

Transitkarte für Schwarzafrika

Boehringer stellte das Projekt im Juli 2000 in Durban vor. Mit drei Millionen Euro von der Bundesregierung gefördert, sollte die Hilfe nach kurzer Jungfernfahrt in Uganda weitere Notländer ansteuern. Die Probefahrt am Victoria-See verzögerte sich. Der Virus zeigte sich bald resistent. Ehe die Hilfe sich ausbreitete, variierte schon das Problem. Heute erhalten 30.000 Afrikaner günstige AIDS-Medikamente – 28 Millionen sind infiziert. Unvergünstigt müssten sie 15.000 Euro zahlen. In den Volkswirtschaften von Botswana, Malawi oder Simbabwe, wo "Lohn und Brot" zwei Euro täglich heißen, kennt das Virus keine Reisebeschränkungen.

Im April 2001 wurden Weltbank, Internationaler Währungsfond und G8-Gruppe dann von einer Idee des UN-Generalsekretärs Annan infiziert: Ein Welt-AIDS-Fonds mit einem Jahresetat von sieben bis zehn Milliarden Dollar könnte das Geld ohne Bürokratie in Krisenregionen verschiffen. Beladung durch Spender, Navigation durch wenige Offiziere und Entladung durch erfahrenes Hafenpersonal. Finanziers irren nicht durch Schwarzafrika, Krankenschwestern betteln nicht um Geld; Hilfe so zielstrebig wie das Virus. Derzeit wird das niedere Fassungsvermögen des Fonds um 71 Prozent unterschritten. Erweitere Beladungszeit ist terminiert.

Wartezeit einer AIDS-Generation

Bis Ende 2002 ruht das Geld im Heimathafen. "Wir sind auf gutem Wege", versicherte die WHO im Mai 2002. Doch sollte der Fond Anfang 2003 Segel hissen, beträgt die "Inkubationszeit" der Hilfe zwei Jahre, ehe sie "ausbricht." Für viele Bedürftige zu spät. In Botswana leben die Menschen im Schnitt noch 36 Jahre lang. Fast 39 Prozent der Bewohner zwischen 15 und 49 Jahren sind HIV-positiv. "AIDS-Generationen" werden kaum mehr drei Dekaden alt. Ähnlich wie die Azteken, bestimmen nicht sie, was mit ihrem Leben geschieht.

Seit 1985 starben sieben Millionen Landarbeiter in Zentralafrika durch AIDS. Goldförder-Konzerne in Südafrika prüfen nun die Folgen für ihre Betriebe. Krankheit und Personalverlust senken nach Einschätzungen von Weltbank und US-Geheimdienst CIA das Bruttosozialprodukt eines Landes um bis zu zwei Prozent, ist es zu einem Fünftel durchseucht. Wohl 100 Milliarden US-Dollar kostete AIDS die Welt bisher, sagt eine Harvard-Studie.