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Hilfe beim Ausstieg

Ulrike Hummel31. Dezember 2008

Im Internet werben rechtsextreme Organisationen um die Gunst der Jugendlichen. Ein neues Netzwerk in NRW wendet sich an betroffene Eltern und Lehrer, um den Kindern den schwierigen Ausstieg aus der Szene erleichtern.

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Junge Männer mit kalgeschorenen Köpfen (Quelle: AP/Jan Bauer)
Rechtsradikale Skinheads während einer Demonstration in BerlinBild: AP

Nach dem Mordanschlag eines vermutlichen noch flüchtigen Neonazis auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl ist die zunehmende Radikalisierung der rechten Szene erneut im Fokus öffentlicher Debatten. Der Ruf nach einem Verbot der rechtsextremen Partei NPD wird immer lauter. Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte Polizei und Verfassungsschutz auf, mit aller Härte gegen Rechts vorzugehen. Mit Musik, Videoclips und Mitmachportalen versuchen Rechtsradikale zunehmend, im Internet gezielt Jugendliche zu erreichen.

Fotomontage einer Internetplattform
In Internetplattformen wird Kontaktaufnahme leicht gemachtBild: DW Fotomontage

Das Web spiele für die Arbeit der Rechtsextremen eine sehr große Rolle, weiß Martin Schneider, seit zwei Jahren bei der Initiative "Schüler gegen Rechts" in Köln aktiv ist. Fast jeder könne sich eine Homepage aufbauen, die sehr schwer zurück zu verfolgen sei. Außerdem gebe es Seiten wie die "Anti-Antifa", wo gegen Linke gehetzt werde– ähnlich wie mit einem Steckbrief. Gerade Jugendliche, die kaum Freunde haben, könnten besonders gut über das Internet erreicht werden, glaubt der 18-Jährige. Eine unkomplizierte Kontaktaufnahme, einschlägige Musikangebote und Videoclips zum Runterladen, eingebettet in eine moderne Optik – sollen vor allem junge Menschen ins rechtsextreme Lager locken.

Geworben werde ebenso mit dem "Gedanken der Kameradschaft", wie mit Action und Spaß, sagt Anne Broden, die seit zehn Jahren das Düsseldorfer Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA-NRW) leitet. Bei Jugendlichen sei der Glaube weit verbreitet, in dieser Szene Freunde zu finden. Dazu kämen "Thrill und Fun": Rechtsextreme veranstalteten heimliche Konzerte. Ort und Zeit würden erst kurzfristig per SMS bekannt gegeben, das sei für einige Jugendliche sehr spannend.

Springerstiefel (Quelle: Bernd Thissen/dpa)
Springerstiefel gelten als Symbol für Rechtsextremismus - doch langsam ändert sich das BildBild: picture-alliance/dpa

Auch habe sich das Image der rechtsextremen Szene in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Starke Jungs mit Springerstiefeln und Bomberjacken seien nicht mehr gefragt. Deutlich zu beobachten ist hingegen ein Wandel hin zu normaler Alltagskultur oder gar das Aufgreifen und Umdeuten linker Symbole – zum Beispiel bestimmter Kleidung und Haarschnitte. Ein gutes Beispiel biete das "Che Guevara-Shirts". Mit dem argentinischen Freiheitskämpfer verbänden rechtsradikal orientierte Jugendliche offenbar nur noch den Revolutionär, der bereit war, für seine Ideen in den bewaffneten Kampf zu gehen und zu sterben – völlig losgelöst von dessen eigentlichen politischen Überzeugungen. Das Tragen eines Palästinensertuches könne Antisemitismus symbolisieren. "Sie solidarisieren sich scheinbar mit dem palästinensischen Volk, dem per se eine antisemitische Haltung unterstellt wird", glaubt Broden.

CD's mit verbotener Musik (Quelle: picture-alliance/dpa)
Entlang der Grenze zu Tschechien werden Rechte mit verbotener Musik und PropagandamaterialienBild: picture-alliance/ dpa

Broden und ihre Mitarbeiter haben nun ein neues Netzwerk gegründet, das sich gezielt an Bezugspersonen junger Menschen wendet, die in die rechtsextreme Szene abgerutscht sind. Dem Angebot gehören über 70 Sozialarbeiter, Pädagogen und Psychologen aus Jugendämtern, Beratungsstellen und Schulen an. Um die Berater vor Ort zu schützen, gibt es keine öffentlich zugängliche Liste der Netzwerker. Denn E-Mails mit Hass-Parolen oder beleidigende Anrufe richten sich nicht selten gegen jene, die Jugendlichen beim Ausstieg aus der rechtsextremen Szene helfen wollen. Ohne Hilfe von außen aber, haben es Aussteiger schwer. Der ehemalige Kölner Polizeichef Winrich Granitzka plädiert daher für ein Ausstiegsprogramm für Jugendliche aus der rechts- und linksextremen Szene: "Rein kommt man sehr schnell, raus hingegen nicht, weil seelische Abhängigkeiten, teilweise finanzielle Abhängigkeiten da sind und Bedrohungskulissen aufgebaut werden."

Was aber junge Menschen vor allem brauchen ist eine Perspektive. Einschlägige Studien machen deutlich, dass die Angst vor dem fehlenden Schulabschluss, vor Arbeitslosigkeit oder vor einem sozialen Abstieg enorm groß sind – Ein Umstand, den sich Rechtsradikale bei ihrer Rekrutierung zunutze machen. Im Hinblick auf die aktuelle Wirtschaftskrise und deren Folgen ist eine gezielte Aufklärung heute wichtiger denn je, um so die subtile Vorgehensweise beim Ködern junger Menschen frühzeitig aufzudecken.