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"Hier geht es um Genugtuung"

Das Interview führte Michael Karhausen7. Oktober 2003

Als untauglichen Versuch der Terror-Bekämpfung bezeichnet Avi Primor im Interview mit der Deuschen Welle Israels Luftangriff auf Syrien. Primor ist Politikwissenschaftler und war Botschafter seines Landes in Deutschland.

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Avi PrimorBild: AP

Deutsche Welle: Hat die Gewalt im Nahen Osten durch den Vergeltungsschlag der israelischen Luftwaffe jetzt eine neue Dimension erreicht?

Avi Primor: "Nein, ich glaube, dass das eigentlich fast routinemäßig ist. Natürlich ist es was neues, dass man den syrischen Boden angegriffen hat, aber ich glaube nicht, dass Syrien darauf reagieren wird. Die Syrer halten sich zurück und wissen ganz genau, wann es in ihrem Interesse liegt, zu kämpfen und wann es nicht in ihrem Interesse liegt zu kämpfen. Auf syrischem Boden wird nie geschossen, wenn die syrische Regierung daran kein Interesse hat und das hat sie heute nicht - besonders nicht nach dem Irak-Krieg, schon weniger als je."

DW: Aber welche Konsequenzen wird der Angriff haben?

Avi Primor: "Keine! Ich glaube nicht, dass es Konsequenzen haben wird, weil es die Terroristen natürlich nicht einschüchtern wird. Und ich glaube, dass es hier um Genugtuung geht. Die Regierung muss ja etwas unternehmen nach so einem Terroranschlag. Die Bevölkerung verlangt es, erwartet es. Etwas muss die Regierung zeigen, was sie auch tun kann. Aber damit kann man Terror ewig bekämpfen, ohne Ergebnisse zu erzielen, weil, was heißt das: die Infrastruktur des Terrors? Die Infrastruktur des Terrors sind vor allen Dingen die Menschen und wenn die Menschen von Terror überzeugt sind, an Terror glauben, dann werden sie es weiter betreiben."

DW: Was hat Israels Regierungschef Ariel Scharon überhaupt noch für Möglichkeiten im Kampf gegen den Terror? Die gezielten Angriffe auf Hamas-Führer haben die Gewalt ja nicht gestoppt bisher?

Avi Primor: "Ja, natürlich. Ich glaube, dass man Terror nur mit Frieden bekämpfen kann. Das heißt, sollten wir irgendwann einen Frieden mit den Palästinensern erzielen, sollten die Palästinenser kein Interesse an Terror haben, dann wird es keinen Terror mehr geben. Ich kann nur Schimon Peres zitieren, der sagte: Solange es eine Besatzung gibt, gibt es auch Terror. Aber bis dahin muss man auch die Terroristen bekämpfen, so weit wie man kann. Das ist ein bisschen so, wie Polizei Kriminalität bekämpft. Die Polizei bekämpft bis in alle Ewigkeit die Kriminalität und es gibt immer noch Kriminelle. Aber das muss sie tun, anders kann man das gar nicht machen."

DW: Welche Chancen gibt es noch für den Frieden im Nahen Osten?

Avi Primor: "Also vorerst sind die Chancen sehr gering und die Situation ist besonders düster. Das kann jedermann sehen. Aber ich glaube, dass es nicht lange dauern wird, bis wir wieder irgendeinen Friedensprozess haben werden, weil nicht unbedingt die Regierungen, die Spitzenpolitiker beider Seiten das anstreben, aber die Bevölkerung es nicht mehr aushalten kann. Die Bevölkerung die davon ausgeht, dass wir eigentlich keine Alternative haben zu der Politik die unsere Regierung führt, genau wie die Palästinenser es meinen, dass sie keine Alternative zum Terror haben, versteht dennoch zunehmend, dass es so nicht weitergehen kann, weil die Lage sich zunehmend verschlechtert sowohl für uns als auch für die Palästinenser. Irgendwann wacht dann die Bevölkerung auf beiden Seiten auf und verlangt eine andere Politik."

DW: Palästinenserchef Jassir Arafat ist seit Samstagabend von Hunderten Sympathisanten umgeben. Sie wollen ihn als lebenden Schutzschild quasi vor einer Ausweisung schützen. Eine solche Ausweisung, würde die die Situation nicht noch verschärfen?

Avi Primor: "Ich glaube nicht, dass sie die Situation verschärfen würde. Aber die Regierung tut es aus einem anderen Grund nicht, weil die Amerikaner es nicht zulassen. Und die Amerikaner gehen davon aus, dass die Beseitigung Arafats, entweder seine Ausweisung oder gar seine Ermordung, die Situation in den pro-amerikanischen arabischen Ländern verschlechtern würde. Das ist eine echte Gefahr für die amerikanischen Interessen und deshalb lassen es die Amerikaner nicht zu. Ich glaube, dass das der einzige Grund ist, warum Scharon seinen Ehrgeiz nicht umsetzt."