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Herr Minister und Frau General

Sandra Petersmann29. November 2002

In Deutschland gibt es keine Generalin der Fallschirmjäger. In Afghanistan schon. Sie ist eine der faszinierenden Menschen, die in Kabul zu treffen sind.

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Keine Frau als Vorgesetzte: Petersmann mit deutschem FallschirmjägerBild: reportage-photo.de

29.11.

Ich habe wieder die halbe Nacht versucht ins Internet zu kommen. Und jetzt, viele Stunden später, kann ich mein Glück kaum fassen. Ich bin endlich wieder drin, und für einen kurzen Moment habe ich sogar die beißende Kälte vergessen. Es ist fünf Uhr früh, und der Muezzin ruft von der Moschee, die gleich hinter dem Gästehaus liegt, in dem ich hier in Kabul wohne.

Nach den ganzen Widrigkeiten der vergangenen Tage scheint sich mein Freund im All, der Satellit "Indian Ocean Region" der France Telecom, wieder ein bisschen erholt zu haben, obwohl er immer noch sehr anfällig ist. Prima, das habe ich mir auch verdient, denke ich mir so. Schließlich bin ich hier hingefahren, um über Land und Leute zu berichten und nicht, um mich über kaputte Satelliten und zerbrochene Stecker zu ärgern. Und das mache ich jetzt auch, denn am Sonntag geht es ja leider schon wieder zurück nach Köln. Die Zeit verfliegt mit Lichtgeschwindigkeit.

Ich habe zwei Menschen kennengelernt, die mich auf ihre Art sehr beeindruckt haben und über die ich kurz erzählen möchte.

Der eine ist Mohammed Amin Farhang, und er ist der Minister für den Wiederaufbau im Kabinett von Präsident Hamid Karsai. Nur ein kurzer Kontakt, eine Visitenkarte an seinen Sekretär, und schon habe ich einen Interviewtermin bei ihm bekommen. Na, das müsste man mal bei Joschka Fischer oder bei Hans Eichel probieren. Er hat ein sehr realistisches Bild vom Wiederaufbau in Afghanistan gezeichnet. Und er hat das ausgesprochen, was in Europa und in den USA ganz offensichtlich niemand so direkt zu sagen wagt. "Die internationale Staatengemeinschaft muss über Jahrzehnte an unserer Seite bleiben, damit Afghanistan eine echte Chance auf Frieden und Sicherheit hat", so Minister Farhang. Er hat Fehler eingeräumt und er hat zugegeben, dass die neue afghanische Regierung das Projekt Wiederaufbau ganz gewaltig unterschätzt hat, weil sie "mit zu viel Euphorie und mit zu wenig Erfahrung ins Rennen gegangen ist. Und dann hat der Minister lange über den psychologischen Wiederaufbau gesprochen und darüber, dass "jeder Afghane seelisch zerstört ist und erst wieder lernen muss, zu vertrauen und zu hoffen." 23 Jahre Krieg haben ihre Spuren hinterlassen. Ich stimme ihm zu. Das ist auch die Erfahrung, die ich mache, wenn ich Menschen spontan auf der Straße anspreche - meistens Männer, weil die meisten Frauen mich zwar anlächeln, sich dann aber doch schnell abwenden und weiter hasten. Viele Gesprächspartner sagen, dass sich Angst davor haben, dass der Frieden in Afghanistan wieder nur ein Strohfeuer ist und keine Substanz hat. Und meistens enden diese Gespräche dann mit einem Satz, der auch für mich inzwischen schon fast zum Motto meiner Arbeit geworden ist:"Das ist die allerletzte Chance, die dieses Land hat."

Und jetzt zur zweiten einprägsamen Begegnung, und die möchte ich mit einer Frage beginnen: Gibt es in Deutschland eine Frau im Rang eines Generals? Gibt es in Deutschland eine Frau, die als sportliche Leiterin bei der Luftwaffe arbeitet? In Afghanistan gibt es sie, und sie heißt General Khatul Mohammed Zai und sie ist 36 Jahre alt. Sie ist Witwe, und sie lebt mit ihrem 16-jährigen Sohn, mit ihrer jüngeren Schwester und mit ihrer Mutter im fünften Stock einer zerschossenen Plattenbausiedlung aus der sowjetischen Besatzungszeit. General Khatul ist ein Kind der Armee, sie ging schon mit 16 Jahren zur Truppe und wurde Fallschirmjägerin. Sie hat diesen Schritt nie bereut.

Eine Zwangspause hatte sie während des Taliban-Regimes, in dieser Zeit schlug sie sich als Näherin durch und das Geld reichte gerade so zum Überleben. Aber unter Präsident Karsai ging sie zurück zur afghanischen Armee. Und den ersten Fallschirmsprung nach mehr als sechs Jahren Pause machte sie im April an dem Tag, als Ex-König Zahir Schah nach 30 Jahren im römischen Exil nach Kabul zurückkehrte. Und kurze Zeit später beförderte Präsident Karsai sie dann zum General.

Khatul Mohammed Zai trägt ihre Uniform, als ich sie treffe. Und ihre Jacke ist über und über mit Orden und Abzeichen behängt. Stolz zeigt sie mir ihr dickes Fotoalbum, das ihre komplette militärische Laufbahn dokumentiert. "Hier, da, auf dem Bild", erzählt sie begeistert, "da sieht man, wie ich meine Nahkampfausbildung mache. Und das hier, das sind die Männer, mit denen ich meine Ausbildung gemacht habe. Das ist meine Kompanie." Viele haben den langen Krieg nicht überlebt. Auch nicht der Mann, den sie als Teenager geheiratet hat.

Aber seien wir ehrlich: Wahrscheinlich ist General Khatul vor allem ein schmückendes militärisches Beiwerk, das den Westen beeindrucken soll. Und als das Mikrofon ausgeschaltet ist, da gibt sie nach einigem Zögern auch zu, dass sie Angst hat, weil es immer noch viel zu viele bewaffnete Kräfte gibt, die eine Frau in den Reihen der neuen nationalen Armee nicht dulden. "Aber ich bin eine Kämpferin", sagt sie. "Ich bin eine Mutter und ich bin eine Schwester Afghanistans, und mein Schicksal liegt in Allahs Hand." Ich bin beeindruckt von dieser starken Frau in ihrer alten Uniform aus der Sowjet-Zeit. Ohne die Frauen des Landes kann und wird der Wiederaufbau nicht stattfinden.