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60 Jahre BRD

13. Juli 2009

Tränen soll er im Auge gehabt haben, als die Befreiung der Lufthansa-Maschine "Landshut" gemeldet wurde. Wäre diese Aktion schief gegangen, hätte Helmut Schmidt seinen Rücktritt eingereicht.

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Helmut Schmidt (l., mit US-Präsident Jimmy Carter) (Foto: dpa)
Helmut Schmidt (l., mit US-Präsident Jimmy Carter)Bild: dpa

Die Nacht jenes 17. Oktober 1977 markiert den Höhepunkt des "deutschen Herbstes" und der Auseinandersetzung zwischen Terroristen der "Rote Armee Fraktion" (RAF) und dem Staat. In dieser Nacht behält der Staat die Oberhand. Mit der Geiselnahme des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer und der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" durch ein arabisches Terrorkommando, versuchte die Terrororganisation, die inhaftierte RAF-Führungsriege freizupressen. Weil die Regierung der Forderung nicht nachgibt, begeht RAF-Führung im Gefängnis Stuttgart-Stammheim kollektiven Selbstmord.

Am 8. Oktober 1977 geht ein RAF-Foto des entführten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer um die Welt (Foto: AP)
Ein Bild, das um die Welt geht: Hanns-Martin Schleyer als Gefangener der RAFBild: AP

Aber die Erleichterung über den Ausgang dieser Befreiungsaktion hält nur einige Stunden, denn dann kommt die Nachricht von der Ermordung des seit dem 5. September entführten Arbeitgeber-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer. Helmut Schmidt übernimmt die Verantwortung für das staatliche Handeln, einerseits nicht erpressbar zu sein, aber andererseits das Leben eines Menschen aufs Spiel zu setzen. Ein Konflikt, der fortan sein politisches Handeln begleitet.

Hamburger Jahre

Helmut Schmidt wird am 23. Dezember 1918 in Hamburg-Barmbek geboren. Er geht auf die renommierte Hamburger Lichtwarkschule. Dort lernt er seine spätere Frau Hannelore Glaser, genannt "Loki", kennen. Nach dem Abitur wird er erst zum "Reichsarbeitsdienst" und anschließend zur Wehrmacht eingezogen. An der Front des Zweiten Weltkriegs lernt er "die große Scheiße des Krieges" kennen. Nationalsozialismus und Kriegserlebnisse prägen den jungen Helmut Schmidt, zeitlebens hat er die kreischende Stimme des berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler im Ohr, die er kennenlernt, als er zu einem Verhandlungstag gegen die Attentäter des 20. Juli 1944 abkommandiert wird.

SPD-Karriere

Nach dem Krieg tritt Helmut Schmidt in die Hamburger SPD ein und engagiert sich in der Kommunalpolitik seiner Heimatstadt. Als Hamburger Bundestagsabgeordneter übersiedelt er 1953 nach Bonn, wo er sich in der SPD-Fraktion schnell einen Namen macht und 1957 Mitglied des Fraktionsvorstands wird. Als Militär- und Verkehrsexperte verdient sich durch scharfzüngige Reden den Spitznamen "Schmidt-Schnauze".

Zertrümmerte Personenwagen in Hamburg nach der Sturmflut vom 17 Februar 1962 (Foto: AP)
Die Sturmflut vom 17. Februar 1962 verwüstet große Teile HamburgsBild: AP

1961 wird ihm der Posten des Hamburger Innensenators angeboten. Im Februar 1962 verhilft ihm dieses Amt zu bundesweiter Bekanntheit. Denn im Februar 1962 bedroht eine gewaltige Sturmflut seine Heimatstadt. Binnen weniger Stunden sind schwere Verwüstungen entlang der Elbe aufgetreten, für viele Tausend Menschen besteht Lebensgefahr. In dieser schwierigen Situation helfen ihm nicht nur seine rhetorischen, sondern auch seine organisatorischen Fähigkeiten. Entschlossen und ohne Rücksichtnahme auf Gesetzeslage und Dienstvorschriften beweist er sich als Krisenmanager. "Schmidt-Schnauze" wird zum "Macher".

Minister in Bonn

1965 wechselt er wieder nach Bonn, wird stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und bildet mit Herbert Wehner und Willy Brandt die Führungsspitze der Partei. Als 1966 die erste Große Koalition gebildet wird, übernimmt Helmut Schmidt den Vorsitz der SPD-Fraktion und sorgt mit seinem Pendant in der CDU/CSU-Fraktion - Rainer Barzel - bis 1969 für einen reibungslosen Ablauf der Regierungsarbeit.

Nach einer turbulenten Bundestagswahl im September 1969 wird die erste sozial-liberale Koalition gebildet, Willy Brandt wird Kanzler, Walter Scheel (FDP) Außenminister und Helmut Schmidt übernimmt das Verteidigungsministerium. 1972 wird er Finanzminister. Beide Ministerposten hinterlassen Spuren, denn Helmut Schmidt zeichnet sich durch wirtschafts- und finanzwissenschaftliche Kompetenz ebenso aus wie durch fundierte Kenntnisse in militärischen Belangen.

Kanzlerjahre

Helmut Schmidt (re.) im Gespräch mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) am 17. Mai 1974 (Foto: AP)
Das neue Team: Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher nach der Wahl Schmidts zum KanzlerBild: AP

1974 erschüttert die Guillaume-Affäre die Republik. Jahrelang hat der DDR-Spion im engsten Umfeld Willy Brandts spionieren können. Obwohl die eigentliche Verantwortung bei den Geheimdiensten und im Innenministerium liegt, tritt der Willy Brandt am 6. Mai 1974 überraschend zurück. In der Bundestagsfraktion ist man sich schnell einig, dass Helmut Schmidt die Nachfolge antreten soll. "Der Helmut muss das machen", lautet der kolportierte Satz Willy Brandts, der in der Bundestagsfraktion zu einem klaren Votum für den Finanzminister als Nachfolger führt.

Schmidts Regierungsjahre sind durch eine weltweite Rezession, steigende Arbeitslosigkeit und die Ölkrise geprägt, der er mit autofreien Sonntagen und Konjunkturprogrammen zu begegnen sucht. Gegen die weltweite wirtschaftliche Krise etabliert er die seit 1975 regelmäßig stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel.

Terror gegen Staatsgewalt

Fahndungsplakat mit den meistgesuchten Terroristen der 70er Jahre (Foto: dpa)
Per Haftbefehl gesucht: RAF-Terroristen der 70er JahreBild: picture-alliance/ dpa

Die eigentliche Herausforderung aber ist der Terrorismus, der seit Anfang der 1970er Jahre das Land bedroht. Die "Rote Armee Fraktion" verübt Sprengstoffanschläge, überfällt Banken und entführt prominente Politiker und Wirtschaftsmanager. Der Staat ist auf einen derartigen Angriff nicht eingestellt. Mit der Entführung Hanns-Martin Schleyers kommt es zur Nagelprobe. Der Preis für die unnachgiebige Haltung der Bundesregierung ist hoch. Zwar können die Geiseln in einer spektakulären Aktion des GSG-9-Spezialeinsatzkommandos befreit werden. Das Leben Hanns-Martin Schleyers aber ist verloren.

Der gestürzte Bundeskanzler Helmut Schmidt beglückwünscht am 1.10.1982 seinen Nachfolger Helmut Kohl zu dessen Wahl zum Bundeskanzler (Foto: dpa)
Helmut Schmidt gratuliert seinem Nachfolger Helmut Kohl am 1. Oktober 1982Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Anfang der 80er Jahre hat Helmut Schmidt mit Verschleißerscheinungen in der sozial-liberalen Koalition und mit der Gefolgschaft in seiner eigenen Partei zu kämpfen. Schmidt formuliert den so genannten "NATO-Doppelbeschluss". Dieser sieht für den Fall die Stationierung von US-amerikanischen "Pershing II"-Raketen in der Bundesrepublik vor, falls die Sowjetunion nicht auf die Aufstellung ihrer SS-20-Raketen verzichte. Durch jene Waffen ist Europa bedroht. Die SPD verweigert diesem Kurs ihre Zustimmung, gleichzeitig verhandeln FDP und CDU/CSU über eine neue konservative Koalition.

Am 1. Oktober 1982 stürzt Helmut Kohl mit einem konstruktiven Misstrauensvotum den Kanzler und wird zum Regierungschef einer schwarz-gelben Koalition gewählt. Helmut Schmidt bleibt als Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", als Buchautor und als Kommentator politischer Ereignisse in der Öffentlichkeit präsent.

Autor: Matthias von Hellfeld

Redaktion: Dеnnis Stutе