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Helmut Krausser: UC

Ramón García-Ziemsen27. August 2003

UC, Ultrachronos, bezeichnet eine Wahrnehmung, die angeblich unmittelbar vor dem Tod eines Menschen stattfindet. Darum geht es in diesem Buch: um den Erinnerungsfilm eines Mannes, der nur noch ganz kurz zu leben hat.

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Arndt Hermannstein ist ein gefeierter Dirigent, ein berühmter Künstler, der sich zudem dank des Geldes seiner Frau einen luxuriösen Lebenswandel erlauben kann. Doch dann kommt ein Anruf, der die geordnete Existenz Hermannsteins auflöst: Ein Schulfreund teilt ihm mit, dass eine gemeinsame Klassenkameradin namens Marita tot aufgefunden wurde. Was soll er damit zu tun haben? War er an ihrem Tod etwa mitschuldig? Plötzlich beginnt auch die Polizei nach ihm zu suchen. Hat er tatsächlich Marita nach einer Vergewaltigung ermordet? Aber er weiß nicht, warum er das hätte tun sollen.

Buchcover: Krausser - UC

Hermannstein beginnt in seiner Vergangenheit zu suchen und wird von seinem Autor in den "Ultrachronos" gestoßen - eine Wahrnehmung, in der alle Zeitdimensionen ihre Gültigkeit verlieren. Jetzt ist gestern, gestern ist jetzt - Zeitschichten überlagern sich, alles ist Alptraum. Kurz: Das gut sortierte Leben des erfolgreichen Dirigenten fällt vollkommen auseinander, jede Gewissheit geht verloren - man fühlt sich ein bisschen wie in den Filmen des Amerikaners David Lynch.

Universum in Buchform?

Man sucht nach Erklärungen greift dabei aber immer wieder ins Leere. Und so geht es auch Hermannstein, bis er den Bestsellerautor Samuel Kurthes trifft, der ihn besser zu kennen scheint, als er sich selbst. Hermannstein soll der Held seines nächsten Buches sein. Oder ist er es schon? Immer mehr wird Kurthes zum beinahe diabolischen Lenker eines Spiels zwischen Ich-Findung, Phantastik und Wahnsinn, in einer Welt, in der wir uns an nichts mehr klammern können, noch nicht einmal mehr an uns selbst: der Welt des Ultrachronos.

UC ist ein halsbrecherisch und dabei umwerfend genau konstruierter Roman. Und Helmut Krausser gelingt es dabei die paranoiden Züge seines Helden so genau herauszuarbeiten, dass es einem als Leser fast weh tut. Formal ein Krimi, aber auch Psychothriller und natürlich Künstlerroman: Krausser für den Bescheidenheit ja wie gesagt ein Fremdwort zu sein scheint, hat über sein neues Buch auch gesagt: "Ich empfinde es wie ein Universum in Buchform. Klingt vermessen, ist vermessen gemeint."

Helmut Krausser
Helmut KrausserBild: picture-alliance/dpa

Überdrehte erzählerische Schraube

Aber Krausser packt zuviel in sein Universum hinein - er dreht die ehrzählerische Schraube einfach zu weit: Irgendwie webt Krausser auch noch ein ausführlich wieder gegebenes Märchen von Hans Christian Andersen ein. Kurz: Krausser will zu viel. Zuviel Ambition, zuviel Ehrgeiz, zuviel für die Ewigkeit schreiben. Dabei war Krausser bislang einer, der das Talent hatte die Sprache seiner Generation zu treffen wie kein anderer - einer Generation, die sich fragt welche Schlacht es noch zu schlagen gibt in einer friedensbewegten Zeit.

Der so wunderbar über die Trinitas der letzten Dinge philosophieren kann, Aschenbecher, Glas und Flasche und der dabei doch nie seine Helden denunziert hat. Witzig, schnell, ungeheuer gebildet, ohne Angst vor großen Themen und dabei ohne jede Anbiederung an ein großes Publikum, das er dann trotzdem gefunden hat.

Trotzdem werden wir auch in "UC", nachdem man schon gar nicht mehr durchblickt durch die diversen Reflexionsebenen über Angst, Mythos und Tod, wieder - etwas - versöhnt. Krausser gelingen kleine, große Sätze über neue, alte Themen: Wenn er schreibt, dass wir eine innere Jury in uns tragen, die sofort das Schildchen mit der Haltungsnote zückt. Wenn er erklärt, warum der heutige Mensch gar nicht mehr aus sich selbst handeln können sondern so, als agiere er immer vor einer Kamera. Zum Schluss von "UC" löst sich sogar der Roman in sich selbst auf - alles ist durchdrungen. Alles Schein. Oder?

Helmut Krausser
UC
Rowohlt, 2003
ISBN 3-498-03511-8
EUR 22,90