1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Helfen Placebos wirklich?

24. November 2009

Medikamente ohne jede Nebenwirkung gibt es wirklich. Wissenschaftler aus Tübingen und Essen haben jetzt nachgewiesen, dass Placebos bei Schmerzpatienten helfen können.

https://p.dw.com/p/Kc3L

Von Manfred Felske-Zech

Hilft Glaube gegen Übelkeit?

An der Tübinger Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie geht der Psychologe Paul Enck der Frage nach, ob tatsächlich die Medizin oder der Glaube daran gegen Schwindel und Übelkeit helfen. Er geht einer Frage nach, die viele bewegt: Warum geht es manchen Leuten besser, wenn sie eine unwirksame Substanz bekommen haben, also zum Beispiel eine Pille, die keine Substanz enthält? Enck ist sich sicher, dass die Zuwendung des Arztes dabei eine entscheidende Rolle spielt. Und dass die Vergangenheit, die frühere Erfahrung mit Medikamenten, eine Wirkung entfaltet, die dem Patienten hilft und seine Symptome lindert.

Probandin im Drehstuhl (Foto:DW-TV)
Probandin im Drehstuhl - sie weiß nicht, ob die Präparate wirkliche Medikamente gegen Übelkeit sind, oder Placebos.

Tests im Drehstuhl – Nur für Hartgesottene

Mit Versuchen will Enck deshalb die Wirkung von Placebos beweisen. So wird eine Probandin auf eine Fahrt im Drehstuhl vorbereitet. Die Atmosphäre ist sachlich bis freundlich und bei jedem Probanden gleich. Störungen im Magen-Darm-Trakt, wie Übelkeit, werden oft durch Placebos beseitigt. Warum, das wollen die Forscher aufklären. Ein EKG zeichnet den Herzrhythmus vor und während des Versuches auf. Der Versuch beginnt. Die ersten Messwerte geben den Ruhezustand der Probandin wieder. Dann gibt es die Pille. Weder Probandin noch der Versuchsleiter wissen, ob dies ein Placebo oder ein richtiges Medikament ist. Wie wird die Frau auf das Drehen reagieren, wird ihr Körper Reaktionen zeigen? Eine Maske vor den Augen wird den Dreh-Effekt verstärken und den Weg zur Übelkeit verkürzen. Der erste von drei Dreh-Zyklen beginnt. Versuchsleiter Jörg Schulte beobachtet die Probandin genau. Zeigt sie Zeichen heftiger Übelkeit, bringt er den Stuhl sofort zum Stehen. Doch der Probandin bekommt das Drehen offensichtlich gut. Deshalb werden die Effekte sogar verstärkt. Drehen mit dem Kopf auf der Brust - das vertragen nur Hartgesottene. Aber selbst diese Hürde überwindet die Probandin. Nach drei mal zwei Minuten Drehzeit ist der Versuch erfolgreich beendet. Ihr ist nicht schlecht geworden. Nur wenn sie den Kopf bewegt, dann fühlt sie ein leichtes Kribbeln im Magen.

Placebos aktivieren dieselben Hirnregionen wie Schmerzmittel

Forscher vor Computerbildschirmen (Foto:DW-TV)
Placebos aktivieren dieselben Hirnregionen wie Schmerzmittel.

Vor und während des Versuchs musste die Probandin einen Wattebausch kauen. Die Wissenschaftler wollen übelkeitsbegleitende Speichelsubstanzen analysieren. Denn können sie unter Placebo dieselben Substanzen wie unter Medikamenten nachweisen, dann hat das Placebo das Gehirn überlistet. So wie beim Schmerz. Dabei haben die Wissenschaftler in die Hirne von Versuchspersonen mit Schmerzen geschaut und gesehen, dass Placebos dieselben Hirnareale ansprechen wie Schmerzmittel. Paul Enck kann über bildgebende Verfahren zeigen, dass ein Schmerzmittel, ein Opioid, ein Areal im Gehirn aktiviert, das für die Schmerzhemmung zuständig ist. Und wenn die Versuchsperson ein Placebo bekommt, dann führt das zu einer ähnlichen Schmerzhemmung – zumindest bei einigen Probanden. Ein Placebo kann also bei ihnen Schmerz oder Übelkeit ähnlich dämpfen, wie ein Opioid.

Psyche und Biochemie gehen Hand in Hand

Probandin und Forscher (Foto:DW-TV)
Übelkeitstest - auch ein freundliches Wort vom Arzt kann heilend wirken.

Jetzt möchte Paul Enck noch mehr über die Mechanismen herausfinden über die Placebos wirken. Denn er möchte wissen, wie Ärzte ihren Patienten am effektivsten helfen können, ohne gleich das stärkste Mittel einzusetzen. Eines ist offensichtlich aber jetzt schon klar: Wer auf Placebos reagiert, ist kein eingebildeter Kranker. Doch der Patient muss psychisch dazu bereit sein. Psyche und Biochemie gehen in der Medizin Hand in Hand. Medikamente allein reichen oft als Therapie nicht aus. Dagegen kann ein freundliches Wort vom Arzt mehr bewegen als so manche Pille.