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Hartz-IV-Möbel

27. Februar 2011

Braucht ein Arbeitsloser stilvolle Möbel? Unbedingt, sagt der Designer Le Van Bo aus Berlin. Er hat Möbel zum Selberbauen entworfen, die sich Arbeitslose leisten können. Und die schick aussehen.

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Der 24 Euro teure Sessel aus der Hartz-IV-Möbelserie des Architekten Le Van Bo (Foto: Xamax)
Bild: picture alliance / dpa

Für ein Interview hat Stefan keine Zeit. Er muss sich jetzt erst einmal konzentrieren. Und so hobelt er sorgfältig, langsam und schweigend an den Einzelteilen seines Sessels.

Stefan ist 30 Jahre alt und neu bei den Freunden von Hartz-IV-Möbeln. In einer Zeitung hat er vor einiger Zeit davon erfahren. Heute ist er zu einem Workshop des Möbeldesigners Le Van Bo angetreten. Gebaut wird an diesem Wochenende der 24-Euro-Sessel.

Die Zahl im Namen des Möbelstücks ist Programm: 24 Euro kosten Holz und Riemen, die problemlos in jedem Baumarkt zu kaufen sind. Und 24 Stunden dauert es, bis der Stuhl gebaut ist. Vom Design her ähnelt der Sessel mit seinem schlichten Holzgestell einem Möbelklassiker aus der Bauhaus-Ära.




Ein Stuhl entsteht und ist mit Zwingen zusammengeschraubt, damit der Holzleim besser hält (Copyright: Le Van Bo)
Lizenz zum LeimenBild: Le Van Bo

Le Van Bo hat den Sessel zufällig bei einem Tischler-Kurs an der Volkshochschule entworfen, den er eigentlich nur besucht hatte, um seine Verlobte zu beeindrucken. Da viele seiner Freunde aber den Sessel nachbauen wollten, verfasste er eine Bau-Anleitung, später kam noch eine Webseite hinzu.

Kostenlose Baupläne

Le Van Bo verschickt die Baupläne umsonst per E-Mail. Um die 1000 sollen schon zirkulieren, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien, in den USA oder in Japan. "Von fast 400 Stühlen weiß ich auch, dass es die wirklich gibt, weil ich Fotos geschickt bekommen habe oder man mir Feedback gegeben hat", sagt Le Van Bo. Er ist 30 Jahre alt, stammt aus Laos, hat kurzgeschorene schwarze Haare und sehr wache Augen. Aufgewachsen im Berliner Brennpunkt-Bezirk Wedding, bestand seine Welt als Teenager anfangs aus Hiphop-Musik und Graffiti sprayen.

Heute, nach einem Architektur-Studium, arbeitet er in einer internationalen Designfirma. Nebenbei entwirft er nun auch Möbel. "Ich komme aus einer armen Arbeiterfamilie und weiß, wie es ist, wenn man von staatlicher Unterstützung leben muss." Viele Probleme habe er sich damals aber auch künstlich gemacht, meint Le Van Bo. "Man macht sich so einen Druck, weil man glaubt, man müsste viel mehr kaufen können und besitzen."

Nicht nur für Hartz-IV-Empfänger

Heute weiß er, dass es gar nicht viel Geld braucht, um sich beispielsweise schick einzurichten. Mit Hilfe seines Bauplans und der dazugehörigen Anleitung könne das nun jeder. Netter Nebeneffekt: Arbeitslose können ihre Zeit kreativ und konstruktiv ausfüllen.

Designer Le Van Bo und seine Hartz-IV-Möbel (Copyright: Le Van Bo)
Designer Le Van Bo und seine Hartz-IV-MöbelBild: Le Van Bo

Aber auch Berufstätige fragen die Baupläne an. Denn angefertigt von einem Tischler würde so ein Möbel weit über 1000 Euro kosten, wie Le Van Bo auf Anfrage einmal herausgefunden hat. Das ist Stefan, der als Sonderpädagoge arbeitet, viel zu teuer. Außerdem will er vor allem auch selbst einmal ein Möbelstück bauen. "Das ist so eine konkrete Arbeit mit einem sichtbaren Ergebnis am Ende", sagt er.

Stefan ist Teilnehmer eines Wochenend-Workshops. Hier hilft Le Van Bo beim Zusammenzimmern der Hartz-IV-Möbel. Deutschlandweit bieten er oder befreundete Tischler diese Kurse für 80 Euro an. Kann sich einmal ein Teilnehmer den Workshop nicht leisten, sucht Le Van Bo nach Unterstützern über seine Facebook-Seite.

Kleine Möbel-Bewegung

Seminarteilnehmer Stefan hat seinen Stuhl fertiggebaut und sitzt entspannt darin (Copyright: Le Van Bo)
Stefan hat es geschafftBild: Le Van Bo

Konstruieren statt Konsumieren ist das Motto des Designers. Ohne dass er es wirklich beabsichtigt hat, löste Le Van Bo damit eine kleine Möbel-Bewegung aus. Neben dem 24-Euro-Sessel sind mittlerweile auch Baupläne für einen 36-Euro-Küchenstuhl und einen Zehn-Euro-Hocker im Umlauf. Eine Einbauküche und sogar ein Wochenendhäuschen zum Selberbauen sollen folgen.

Le Van Bo wundert sich selbst ein wenig darüber, welches Ausmaß sein Tischler-Hobby mittlerweile angenommen hat. "Es ist ja schon ein wenig seltsam: Welcher normale Mensch baut sich heute denn noch selbst seine Möbel?" Was ihn persönlich jedenfalls antreibe, seien die vielen Geschichten, die er von den Möbelbauern zurückbekomme. So hätte ihm beispielweise einmal ein Vater gemailt, dass er gemeinsam mit seinem Sohn den 24-Euro-Sessel gebaut habe, um ihre Beziehung im wahrsten Sinne des Wortes zu kitten.

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Klaudia Prevezanos