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Chinas Müllsammler in der Krise

6. April 2009

Die chinesische Recycling-Industrie ist am Rande des Zusammenbruchs. Besonders leiden darunter die Wanderarbeiter, die den Müll sammeln: Sie bleiben auf ihrem Plastik und Papier sitzen.

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Li Li hat Plastikmüll in der Hand, Halbporträt (Foto: Ruth Kirchner)
Li Li arbeitet als Müllsortierin in Dongxiaokou, einem Vorort von PekingBild: Ruth Kirchner

Dongxiaokou kann man riechen, schon lange bevor man den Vorort im Norden Pekings erreicht. Der Geruch von Müll und Abfall hängt leicht süßlich über den Häusern und Werkhöfen. Meterhoch stapeln sich hier Altpapier, Elektroschrott und Plastikflaschen - die Abfälle der 17-Millionen-Metropole Peking.

Die 43-jährige Li Li sitzt seit Stunden vor einem großen Nylonsack voller roter Flaschenverschlüsse und pult die Plastikteile aus den Metalldeckeln. Sie und hunderte von Wanderarbeitern, hauptsächlich aus der zentralchinesischen Provinz Henan, leben und arbeiten in Dongxiaokou - als Müllsammler und -sortierer.

Ein Leben im Abfall

Plastikflaschen stapeln sich zu Bergen oder in riesigen Säcken (Foto: Ruth Kirchner)
In Dongxiaokou stapeln sich Plastikflaschen meterhochBild: Ruth Kirchner

"Die Pekinger wollen diese Arbeit nicht machen", sagt Li und wirft ein paar weiche Plastikteile in eine Schüssel. "Aber wir von außerhalb sind harte Bedingungen gewohnt." Die Arbeit in Dongxiaokou ist dreckig und mühsam. Li und ihre drei Kinder leben auf dem Müll. Noch auf dem Dach ihres winzigen Wohnhauses stapeln sich leere Plastikflaschen.

Jahrelang haben sie vom Sammeln und Verkaufen des wieder verwertbaren Abfalls relativ gut leben können. In guten Zeiten verdiente die Familie umgerechnet bis zu 600 Euro pro Monat. Denn die Fabriken in Südchina mit ihrem unersättlichen Hunger nach Rohstoffen brauchten Plastik, Papier und Metall. Doch weil die Welt jetzt weniger Textilien, Spielzeug und Elektronik aus

China kauft, ist die Existenz der Lis bedroht.

Der Plastikmüll wird erst einmal gelargert

"Die Preise sind um mehr als die Hälfte gesunken, manchmal sogar noch mehr", rechnet Li Li vor. Früher seien die großen Plastikflaschen sieben Eurocent pro Kilo Wert gewesen, jetzt nur noch gut drei Cent. "Wenn man die Miete für das Haus und den Hof abzieht, bleiben uns weniger als 100 Euro im Monat zum Leben." Für die Familie ist das zu wenig, zumal die jüngste Tochter noch zur Schule geht - in eine Schule für Wanderarbeiterkinder. Eine bessere Ausbildung können sich die Lis nicht leisten.

Einen Steinwurf von ihrem Haus entfernt werden gigantische Berge von leeren Plastikflaschen sortiert, gewogen und in einfachen Maschinen geschreddert. Die Plastikchips werden in große Säcke verpackt - und erst einmal gestapelt. Früher wurden sie sofort weiterverkauft und zu Kunstfasern verarbeitet. Der 35-jährige Zhang steht in einem Meer von Plastikflaschen und zieht die Etiketten ab. Ein Kleinkind spielt neben ihm mit ein paar leeren Flaschen.

Li Li sitzt vor ihrem Laden auf der Straße und sortiert Müll in verschiedene Säcke, Plastikkörbe, Halbtotale (Foto: Ruth Kirchner)
Li Li (r.) sortiert Plastikmüll in verschiedene Körbe und Säcke: Sie kann mit ihrer Arbeit die Familie kaum ernährenBild: Ruth Kirchner

"Früher konnte man die Kunstfasern exportieren, aber jetzt wollen die Ausländer sie nicht mehr haben", erzählt Zhang, der seinen vollen Namen nicht nennen will. Im Inland sei der Bedarf längst gedeckt, die Lager seien viel zu voll: "Deshalb ist das Rohmaterial nichts mehr wert."

Der Traum vom schnellen Reichtum ist vorbei

In den vergangenen Jahren, als Chinas Wirtschaft zweistellige Wachstumsraten verzeichnete, boomte auch das Geschäft mit dem Müll. Die Chefin von "Nine Dragons Paper", einer südchinesischen Papierfirma, hatte es vor drei Jahren mit dem Import von Altpapier aus den USA zur reichsten Frau Chinas gebracht. Aber seit der Krise sind die Aktien der Firma um 90 Prozent gefallen.

Ying Zuozhang, Halbporträt, vor einem Berg Altpapier (Foto: Ruth Kirchner)
Ying Zuozhang (63) vor einem Berg AltpapierBild: Ruth Kirchner

In Dongxiaokou geht es um deutlich kleinere Summen, aber auch hier haben sich manche auf der Jagd nach dem schnellen Reichtum verspekuliert. Im Hof von Ying Zuozhang zieht ein Wachhund ungeduldig an seiner Kette. Der 63-jährige Ying steht vor haushohen Bergen von Altpapier und Pappresten. Vor einem Jahr, noch zu guten Zeiten des Wirtschaftswachstums, hatte er die Waren eingekauft - von Restaurants und den Müllsammlern, die mit ihren Lastendreirädern durch Pekings Straßen ziehen. Ying hatte auf die bis dahin stetig steigenden Preise gesetzt. Aber weil China seit der Krise weniger Pappkartons braucht, um darin Exportwaren zu verpacken, wird er sein Altpapier nun nicht mehr los.

Müllarbeiter wollen aufgeben

"Wegen der Wirtschaftskrise machen alle Verluste", sagt Ying. Früher habe er das Altpapier für fünf bis sechs Eurocent pro Kilo verkauft. Jetzt gebe es dafür nicht mal mehr einen Cent pro Kilo. Wie viele Bewohner von Dongxiaokou würde Ying seinen Laden am liebsten dichtmachen. Aber dann bliebe er auf seinen Schulden sitzen.

Auch Li Li, die Mutter von drei Kindern, denkt ans Aufgeben. Auf dem Bretterzaun vor ihrem Hof hat sie bereits verkündet, dass sie einen Nachmieter sucht. "Ich will jetzt alles verkaufen und aufhören", sagt Li. "Dann mieten wir irgendwo eine Wohnung, suchen uns Jobs als Wanderarbeiter und verdienen ein paar hundert Yuan im Monat."

Aber wie viele Müllarbeiter in Dongxiaokou wartet Li Li bislang vergeblich auf einen neuen Pächter. Die einst lukrativen Müllberge von Dongxiaokou will in Krisenzeiten keiner haben.

Autorin: Ruth Kirchner, Peking

Redaktion: Christina Hebel

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