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Weniger Sozialleistungen für EU-Bürger

Richard A. Fuchs, Berlin 28. April 2016

Arbeitsministerin Nahles ist überzeugt: EU-Bürger müssen bald jahrelang warten, bis sie hierzulande Sozialhilfen beantragen können. Jetzt legte sie nach: Der Gesetzgeber habe die Pflicht, Rechtslücken zu schließen.

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Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) Foto: Sven Hoppe/dpa
Sie will Rechtsklarheit: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Kein EU-Bürger soll nach Deutschland umsiedeln, weil es hierzulande großzügige Sozialleistungen gibt. Mit diesem Ziel hat Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Donnerstag einen neuen Gesetzentwurf an das Kanzleramt versandt, sagte sie in Berlin. Das Ziel: Der Sozialhilfeanspruch von Ausländern aus den anderen 28 EU-Mitgliedsstaaten soll drastisch eingeschränkt werden. Mit dem Entwurf reagiere ihr Ministerium auf die "Unklarheit", die durch die Entscheidungen des Bundessozialgerichts entstanden sei. Das hatte vor wenigen Monaten geurteilt, dass EU-Ausländer nach der aktuellen Rechtslage spätestens nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf Sozialleistungen hätten – ganz gleich ob sie jemals hierzulande gearbeitet haben. Das geplante Gesetz bedeute aber "keine Veränderung des Status quo", hob die Ministerin hervor. Es gelte aber, die von den Richtern in Frage gestellte Praxis, jetzt auf ein neues, rechtlich solides Fundament zu stellen. Nur so könne Armutszuwanderung in die Sozialsysteme verhindert werden.

Dabei seien die jetzt angedachten Maßnahmen "präventiv, um ein Schlupfloch, was entstehen und die Kommunen belasten könnte, zu schließen", sagte Nahles. So sollen EU-Bürger künftig von Hartz-IV und Sozialhilfe ausgeschlossen sein, wenn sie sich hierzulande nicht zuvor eigene Ansprüche erworben hätten. Mit dieser Zielrichtung werde der Entwurf jetzt zwischen Kanzleramt und den einzelnen Ministerien abgestimmt, kündigte die Ministerin an.

Fünf Jahre Frist, bevor es Leitungen geben kann

Der Plan der Arbeitsministerin, der der Funke Medien Gruppe vorlag, sieht vor, dass nach einer Frist von fünf Jahren EU-Bürger erstmals Ansprüche auf Leistungen geltend machen können. Und das nur, wenn sie in dieser Zeit ohne staatliche Hilfen ausgekommen sind. Derlei Einschränkungen lagen besonders den Städten und Kommunen in Deutschland am Herzen, denn sie erwarten mögliche Zusatzkosten in Milliardenhöhe durch Einwanderung in Sozialleistungen. In dem Gesetzentwurf sollen auch neue Kurzfrist-Leistungen angedacht sein, die künftig allen EU-Bürgern offen stehen, die keinen Anspruch auf Sozialhilfe mehr haben. Dazu gehört die Zahlung einer einmaligen Überbrückungsleistung. Darin enthalten sein sollen finanzielle Hilfen für maximal vier Wochen, die den Bedarf für Essen, Unterkunft sowie Körper- und Gesundheitspflege decken. Zudem soll es einmalig einen Zuschuss für die Rückreisekosten ins Heimatland geben. Dort könne der Betroffene dann Sozialleistungen beantragen, heißt es weiter.

Bild der Agentur für Arbeit Foto: Arno Burgi/dpa
Ab nach Deutschland - ab aufs Amt? EU-Ausländern soll der Zugang zu Sozialleistungen erschwert werdenBild: picture-alliance/dpa

Opposition: Ministerin plant Grundrechtsverstöße

Die Pläne der Ministerin stoßen bei der Opposition auf einhellige Ablehnung. Was Nahles plane, so der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Wolfgang Strengmann-Kuhn, das "verstößt sehr wahrscheinlich gegen das Grundrecht auf Existenzsicherung." Er äußerte sich am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Der Grünenpolitiker berief sich dabei auf ein Urteil des Verfassungsgerichts, das dieses Grundrecht allen in Deutschland lebenden Personen zumesse, auch solchen, die keine Staatsbürger seien. Aber auch die Grünen sehen Handlungsbedarf, allerdings vor allem mit dem Ziel, die Kommunen finanziell zu entlasten. "Unser Vorschlag ist, dass Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die Arbeit suchen, nach drei Monaten Aufenthalt Zugang zu Hartz IV-Leistungen erhalten, die überwiegend vom Bund finanziert werden. Dadurch wird das Existenzminimum gesichert und zusätzlich die Kommunen entlastet", so Strengmann-Kuhn. Auch von Seiten der Linkspartei kam Kritik. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Jan Korte, nannte die Pläne "Populismus auf Kosten der Schwächsten". Es werde Zeit, dass die Bundesregierung sich zusammenreiße, statt umzustoßen, was über Jahre hinweg in Europa an Positivem gewachsen sei. "Wer Europa positiv denkt, muss europäische Lösungen entwickeln, statt sich national abzuschotten", sagte Korte.

EU-Recht ist flexibler, als in Deutschland bekannt

Ein Blick in das geltende EU-Recht zeigt, dass die durch den Vorstoß der Ministerin entstandene Diskussion in Teilen überflüssig ist. Denn auch die geltenden EU-Regeln beinhalten bereits eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, wie jeder EU-Staat seine Sozialsysteme vor einer Überbeanspruchung durch EU-Ausländer absichern kann. Von Seiten der EU-Kommission heißt es dazu sinngemäß: "Nicht erwerbstätige EU-Bürger dürften in der Praxis kaum einen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Sie müssen nämlich - bevor ihnen das Recht auf Aufenthalt zuerkannt wird - gegenüber den nationalen Behörden nachweisen, dass sie über genügend finanzielle Eigenmittel verfügen." Was im Originaltext in Beamtendeutsch geschrieben, etwas sperriger daherkommt, das legt doch die Frage nahe: Sind die geplanten Einschnitte bei Sozialleistungen für EU-Ausländer in Deutschland reine Symbolpolitik – weil derlei Fälle in der Praxis selten sind?

Die Linke - Jan Korte Foto: DW
Er kritisiert Populismus auf Kosten der Ärmsten: Jan Korte, LinkeBild: imago/Uwe Steinert