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Harhoff: “Wir müssen mehr experimentieren!”

Richard Fuchs27. Februar 2014

Computer, Walkman, MP3-Format - viele Erfindungen stammen aus Deutschland. Zum Kassenschlager wurden die Produkte aber in den USA und Asien. Woran das liegt, erklärt Dietmar Harhoff im DW-Interview.

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Dietmar Harhoff EFI (Foto: Tim Brakemeier/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Professor Harhoff, in vielen Bereichen ist die deutsche Forschung ganz vorne mit dabei, wir stoßen neue, zukunftsträchtige Entwicklungen an. Wenn es aber um die Marktreife und die Produktion geht, verlieren wir schnell den Anschluss. Woran liegt das?

Dietmar Harhoff: Deutschland hier vorschnell zum Verlierer zu erklären, wäre verfrüht. Aber Besorgnis ist angebracht, denn derzeit scheint die Entwicklung in der Tat einem bekannten Muster zu folgen. In den frühen Stufen der Wissensschaffung und Forschung sieht unser Land sehr gut aus, auch was Patentierung angeht läuft es sehr passabel oder in einigen Bereichen sogar sehr gut. Dann aber, wenn es um die Kommerzialisierung und den Aufbau von Produktionseinrichtungen geht, steht Deutschland nicht mehr so günstig da wie beispielsweise Japan, Korea und inzwischen auch China.

Läuft der Wissens- und Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft dort auch deshalb so gut, weil es viel engere Absprachen zwischen Politik und Wirtschaft gibt?

Ja, typischerweise ist es so, dass gerade in den asiatischen Ländern sehr kohärente Forschungs- und Kommerzialisierungsstrategien erarbeitet werden - Staat und Wirtschaft also sehr eng zusammenarbeiten. Aus marktwirtschaftlicher Sicht müsste man sagen, manchmal zu eng, weil die Förderung auch sehr weit geht - nicht selten bis weit in den Produktionsbereich hinein. Das führt natürlich dazu, dass auch Produzenten wie Samsung, LG und weitere Unternehmen große Fortschritte bei ihren Angeboten gemacht haben.

Gibt es Forschungsbereiche, in denen der Wissens- und Technologietransfer in Deutschland besser klappt?

Die großen historischen Stärken Deutschlands im Chemiesektor, im Maschinenbau und in der Automobilindustrie sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass hier der Technologietransfer seit langer Zeit sehr gut funktioniert. Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gibt es hier sehr gut funktionierende Kommunikationslinien. Ich glaube, dort macht uns im Technologietransfer kaum jemand etwas vor. Schwierigkeiten haben wir insbesondere bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen außerhalb dieser etablierten Bereiche. Da funktioniert die Umsetzung in Anwendung nicht so gut.

Woran liegt das?

Dafür sind verschiedene Gründe verantwortlich. Ein sehr effektiver Mechanismus des Transfers - (Start-Ups) - sind bei uns weniger häufig als in anderen Ländern. Das hat mit der Finanzierungssituation zu tun. Wagniskapital wird bei uns nicht so stark gefördert wird wie in anderen Ländern. Und wir haben in Deutschland Schwächen im Ausbildungsbereich, um neue Erkenntnisse schnell in Studiengänge umzusetzen, deren Absolventen dann auch für die Industrie als Wissensträger zur Verfügung stehen.

Sollte der Staat einspringen und für Ausgründungen aus Universitäten und Forschungsinstituten direkt Wagniskapital bereitstellen?

In der ganz frühen Phase tut er das bereits. Ich glaube aber nicht, dass der Staat Gründungen in allen Phasen des Unternehmenswachstums unterstützen sollte, er sollte vielmehr die Rahmenbedingungen richtig setzen. Die Rahmenbedingungen für Wagniskapital in Deutschland sind miserabel, da sind wir bestenfalls Mittelfeld in Europa. Länder wie Schweden, Dänemark und Frankreich haben weitaus mehr Wagniskapital bezogen auf das jeweilige Bruttosozialprodukt als Deutschland und es gibt eigentlich keinen guten Grund dafür, warum es bei uns anders sein sollte. Es geht hier nicht darum, ganz Deutschland in ein gigantisches Silicon Valley zu verwandeln, das nur noch aus Start-Ups besteht. Das wäre eine äußerst dumme Strategie. Wir müssen aber darauf achten, dass wir nicht nur große Industrieunternehmen in diesen Transfer hineinbringen, sondern dass wir auch ausreichend viele Experimente in Form von Start-ups haben, die dann ungewohnte, neue und radikal andere Konzepte ausprobieren.

Experimentieren wir in Deutschland zu wenig?

Ja, das kann man in Bezug auf den Technologietransfer sagen. In vielen Bereichen wissen wir nicht genau, welche Transfermechanismen besonders gut funktionieren. Wir müssen mehr experimentieren und die Ergebnisse dieser Experimente dann auch breit umsetzen! Experimente sind ein wichtiger Ansatz, neue Instrumente zu entwickeln und zu verfeinern. Das kann man nicht komplett auf dem Reißbrett planen.

Professor Dietmar Harhoff leitet das Institut für Innovationsforschung, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und ist Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der deutschen Bundesregierung.