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Hans von Storch: "Wir haben ein Problem!"

Judith Hartl30. August 2013

Die globale Temperatur steigt seit 15 Jahren so gut wie nicht mehr an. Schuld soll ein kühlerer Pazifik sein, heißt es jetzt. Diese Erklärung überzeugt den Klimaforscher Hans von Storch nur teilweise.

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Hans von Storch. (Foto: Stefan Sauer dpa/lmv)
Hans von Storch ist Klimaforscher am Institut für KüstenforschungBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr von Storch, seit 15 Jahren steigt die globale Lufttemperatur so gut wie nicht mehr an, obwohl Prognosen eine deutliche Erwärmung vorhergesagt haben. Jetzt haben US-Wissenschaftler im renommierten Wissenschaftsjournal "nature" eine erstaunliche Erklärung präsentiert - nämlich, dass kühles Pazifikwasser dafür verantwortlich sein soll, dass es nicht wärmer wird. Kann das sein?

Hans von Storch: Das ist schon möglich. Denn wenn wir die globale Mitteltemperatur ermitteln, bestimmen wir die Lufttemperatur in unmittelbarer Nähe der Erdoberfläche oder der Wasseroberfläche. Die Luft an der Wasseroberfläche entspricht fast der Wassertemperatur. Wenn diese also in großen Bereichen ungewöhnlich kühl wäre, dann würde sich das auch auf die globale Mitteltemperatur auswirken.

Überzeugt Sie diese neue Studie?

Ob sie mich überzeugt, ist eine andere Geschichte. Ich kann nur sagen: Ja, es könnte durchaus so sein. Wobei man sich natürlich fragen muss, warum die Ozeanoberfläche plötzlich anfängt, so kühl zu werden. Aber angenommen, sie ist wirklich abgekühlt, kann dieser Vorgang schon richtig sein.

Die Erklärung, warum der Ostpazifik plötzlich kühler wurde, haben die Wissenschaftler also noch gar nicht geliefert ...

Nein, bislang noch nicht. Aber klar ist: Wir hatten in der Tat eine sehr geringe Erwärmung in den letzten 15 Jahren. Und diese Entwicklung kam in unseren Vorhersagerechnungen nicht vor. Und wenn das noch ein paar Jahre so weitergeht, dass die globale Temperatur so gut wie nicht ansteigt, dann haben wir ein Problem.

Also sollte man Prognosen eher sein lassen?

Nein, das nicht. Aber es ist gute wissenschaftliche Praxis, dass man bei jeder Theorie sagt: "Sollte ich in Zukunft aber Folgendes beobachten, dann muss ich daraus schließen, dass meine Erklärung nicht richtig oder unvollständig ist."

Und das war beim Thema globale Erwärmung nicht so?

Nein. Auch mit der jetzigen Geschichte über einen kühleren Ostpazifik wird wieder im Nachhinein erklärt, warum wir in den letzten 15 Jahren keine Erwärmung hatten. Und dieses "im Nachhinein" hat natürlich immer so einen schalen Geschmack: Man repariert da so vor sich hin. Eine bessere Praxis wäre zu sagen: "Okay, das könnte so sein - das wollen wir nicht ausschließen - es kann aber auch andere Gründe für diese Entwicklung geben."

Aber nein, man stürzt sich wieder voller Begeisterung auf die erstbeste Erklärung, die unser Gesamtweltbild möglichst nicht ins Wanken bringen soll. Stattdessen muss man sich doch fragen, warum unsere Modelle bestimmte Faktoren nicht berücksichtigt haben. Unsere Erklärung kann ja vollständig richtig sein - aber es könnte auch sein, dass unsere Instrumente an dieser Stelle doch nicht so gut sind, wie wir gehofft haben.

Das heißt?

Eine Möglichkeit ist, dass die natürlichen Schwankungen im System zu schwach dargestellt werden. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass die El-Niños und El-Niñas nicht heftig genug eingerechnet wären. Die Erklärung, die wir gerade in "nature" gelesen haben, würde in diese Kiste fallen. Es kann auch sein, dass die Modelle die Reaktion auf die erhöhten Treibhausgaskonzentrationen zu stark angeben hatten oder dass noch jemand anders seine Finger im Spiel hat - zum Beispiel die Sonne, die wir bisher nicht berücksichtigt haben.

Gar nicht?

Nein, in den Szenarien kommt so etwas nicht vor. Ich will auch nicht sagen, dass es wahrscheinlich ist. Ich will nur sagen, dass es verschiedene Gründe gibt, die man in Betracht ziehen muss, bevor man voller Begeisterung auf die erste Erklärung springt.

Denn damit erreicht man letztendlich auch, dass man unglaubwürdig wirkt ...

Das ist genau der Punkt, den ich sehr unerfreulich finde. Dass wir letztendlich unsere Glaubwürdigkeit verspielen. Es sieht für Außenstehende natürlich auch ein bisschen so aus, dass wir Klimaforscher immer auf eine Erklärung anspringen, die unsere Grundaussage - dass vor allem CO2 an der globalen Erwärmung schuld ist - auf gar keinen Fall beschädigt. Ich glaube zwar, dass diese Grundaussage richtig ist, aber es könnte sein, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen, die wir bisher unterschätzt haben.

Ende September wird der IPPC-Klimabericht der Vereinten Nationen veröffentlicht - dürfen wir da irgendwelche Überraschungen erwarten?

Nein, ich glaube nicht, dass er uns sonderlich überraschen wird. Aber ich weiß, dass man über die Frage der Temperatur-Stagnation auch im Kreis der IPPC-Autoren nachgedacht hat. Ich bin gespannt, welche Einschätzung da kommen wird. Es wird wahrscheinlich ein ausführlicheres Kapitel dazu geben, und ich könnte mir vorstellen, dass dort eine andere Erklärung als in "nature" stehen wird, nämlich dass die Temperatur-Stagnation durch die Ansammlung von Wärme im tieferen Ozean verursacht wird.

Werden Ihrer Meinung nach die Themen Klimaerwärmung und Klimaschutz in der Politik noch ernst genug diskutiert?

Es wird ganz klar nicht ernst genug diskutiert. Hauptsächlich wird das Thema dazu genutzt, um die eigene Position zu stärken. Es ist eine rein politische Debatte. Es ist im Wesentlichen ein Instrument zur Durchsetzung politischer Präferenzen.

Professor Hans von Storch ist ein deutscher Klimaforscher und Meteorologe. Er leitet das "Institut für Küstenforschung" am Helmholtz-Zentrum Geesthacht.

Das Gespräch führte Judith Hartl