Handwerker mit dem Wander-Drang
20. Januar 2005Die Tradition umherziehender Handwerker ist mehr als 100 Jahre alt. Und sie ist noch immer lebendig: Derzeit sind einige Tausend deutsche Wandergesellen auf den Straßen der Welt unterwegs. Sie tragen die übliche Tracht: schwarze Schlaghose, weißes Hemd, schwarzer Hut und Cord-Weste. Und sie marschieren und trampen um den Globus, mindestens drei Jahre und einen Tag lang - dabei sammeln sie ein ordentliches Bündel an Lebenserfahrung bei verschiedenen Kurzzeit-Jobs: als Baumeister, Steinmetz, Zimmermann oder Dachdecker.
"Man lernt viele verschiedene Wege, um die gleiche Arbeit zu machen", sagt der Ex-Wandersmann Guido Stier. "Es ist auch eine Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln."
Unter 30 und fern der Heimat
Zum Wandergesellen-Dasein gehören eine Menge alter Bräuche und Rituale. Die Regeln variieren von Bruderschaft zu Bruderschaft; einige nehmen auch Frauen auf, andere nicht.
Meistens aber müssen die Vagabunden unverheiratet und unter 30 sein - und sie müssen schwören, während ihrer Wanderzeit nicht näher als 50 Kilometer an ihre Heimatstadt heranzukommen.
Verschwiegen aus Tradition
Ähnlich wie bei den Freimaurern ist die ganze Bewegung ein bisschen geheimnisumwittert. "Das Geheimnis um die fahrenden Handwerker ist entstanden, weil sie in der Geschichte oft verfolgt wurden. Als die Burschenschaften Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Arbeiterbewegung aufkamen, waren die Behörden dagegen, weil sie plötzlich eine Kraft waren, mit der man rechnen musste", erklärt Dirk Schulze, Vorsitzender der "Gesellschaft der Rechtschaffenen Fremden Maurer- und Steinhauergesellen". "Sie haben ihre Statuten von Anfang an nicht publik gemacht, und diese Tradition ist einfach so weitergegangen."
Minimum macht erfinderisch
Abgesehen davon geben die Wanderjahre den jungen Gesellen die Gelegenheit, das Leben abseits des ständigen Konsums kennen zu lernen. "Man hat nichts als seine Sachen auf dem Rücken, ein paar Werkzeuge und Unterwäsche im Bündel", sagt der frühere Wandergeselle Guido Stier: "Man muss mit dem Minimum auskommen. Und auch wenn manche Situation sehr schwierig ist, lernt man, dass es immer irgendwie weitergeht."
Für Stier ist das die wichtigste Erfahrung seiner Wanderzeit, die ihn durch ganz Europa führte, bis er genügend Geld hatte, um Flüge nach Nepal und Südafrika zu buchen. Entgegen der landläufigen Meinung erwarten die fahrenden Handwerker nämlich etwas mehr für ihre Arbeit als ein Bett aus Stroh und eine Schüssel Suppe am Ende des Tages. "Wo immer wir Arbeit finden, machen wir die zum gleichen Tarif wie die Handwerker am Ort", sagt Stier.
Arbeitslosigkeit treibt Gesellen in die Ferne
Die Burschenschaften sehen einen Zusammenhang zwischen den Arbeitslosenzahlen und der Zahl der jungen Menschen, die ihre Tasche packen und sich aufmachen gen Horizont. "Wenn es der Wirtschaft gut geht, tauchen wenige auf, um auf Wanderschaft zu gehen," sagt Schulze. "Aber wenn es schlecht geht, ist der Trend genau andersherum."
Derzeit ist die Lage stabil, aber Schulze würde gerne noch mehr junge Menschen sehen, die den nomadischen Lebensstil annehmen und so helfen, die Tradition wachzuhalten. Er ist überzeugt, dass die Wanderschaft auch bei der späteren Suche nach einer Festanstellung Vorteile bringt.
Im Innern will man lange weiterwandern
Allerdings macht er auch keinen Hehl aus den Schwierigkeiten, die Wanderschuhe für immer an den Nagel zu hängen. Er warnt Neulinge, dass sie mindestens ein Jahr brauchen werden, um sich wieder an einen festen Wohnort zu gewöhnen und den alten Wanderer-Kodex zu vergessen: "Wenn die Nachbarn nicht mehr grüßen und die Hunde nicht mehr bellen, ist es an der Zeit, weiterzuziehen."