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Halleluja! Andere Länder, andere Sitten

10. Dezember 2010

Man hat schon mal davon gehört, dass die US-Amerikaner ihren Weihnachtsbaum schon Ende November aufstellen, aber Weihnachten erst am 25. Dezember feiern. Doch es gibt immer wieder Bräuche, die Zugereiste staunen lassen.

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Fernschreiber (Grafik: DW)
Bild: DW

Georg Friedrich Händels "Messias" ist ein Klassiker in der Weihnachtszeit - in Deutschland wie in den USA. Was lag also näher, als am vergangenen Sonntag in die "National Cathedral" zu einer Vorstellung des Oratoriums zu gehen, um ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu kommen. Immerhin ist die Kathedrale, deren Grundstein 1907 gelegt wurde und die hoch über den Dächern der US-Hauptstadt thront, die sechstgrößte der Welt.

Um vier Uhr nachmittags sollte die Vorstellung mit dem Kathedralen-Chor beginnen. Eine Viertelstunde früher, wie es sich für pünktliche Deutsche gehört, nahm ich Platz. Den zu finden war nicht einfach - die Stühle waren nicht nummeriert. Man musste sie abzählen, auf der linken Seite des Mittelschiffs die ungeraden Nummern, auf der rechten Seite die geraden. Die Verwirrung war vorprogrammiert.

Mit dem Teddy ins Konzert

Am Eingang hieß es, die Vorstellung würde drei Stunden dauern. Etwas lang, dachte ich mir, und schnell wurde klar, warum: Es war schon Viertel nach vier, als Tenor Rufus Müller endlich anfing zu singen. Doch selbst dann waren noch nicht alle Zuhörer gekommen. Für eine ganze Weile herrschte beträchtliche Unruhe. Gäste mussten aufstehen, um Zuspätkommende auf ihre Plätze zu lassen.

Eine junge Frau dirigierte ihren kleinen Sohn in die Mitte der Reihe. Der Kleine hielt krampfhaft einen riesigen weißen Teddy im Arm, was das Durchkommen nicht leichter machte. Heftige Diskussionen mit den Platzeinweisern zuvor ließen darauf schließen, dass die beiden eigentlich andere Plätze gehabt hatten, auf denen aber bereits jemand saß. Der Schwächeanfall einer älteren Dame sorgte für noch mehr Unruhe und Getuschel. Chor, Bass und Alt hatten bereits ihre ersten Einsätze absolviert, als es etwas ruhiger wurde.

Aufstehen…

DW-Korrespondentin Christina Bergmann (Foto: DW)

Auch die Sopranistin kam schließlich an die Reihe und sang, wie die anderen auch, auf Englisch. Aber schließlich hat Händel das Original in dieser Sprache komponiert, es wurde in Dublin uraufgeführt. Nach dem ersten Teil gab es eine Pause - Zeit, die Beine zu vertreten. Zu Beginn des zweiten Teils nahm der Mann in der Reihe vor mir die Notenblätter zur Hand, die er mitgebracht hatte. Er und seine Tochter im Teenager-Alter hatten schon die ganze Zeit ausgelassen im Rhythmus mitgewippt. Zum Ende des zweiten Teils kam dann, worauf offensichtlich alle gewartet hatten: Das Halleluja.

Zum Glück hatte ich vorher das Programm gelesen und war nicht ganz so überrascht, als sich plötzlich alle von ihren Sitzen erhoben. Das ist offensichtlich hier in Amerika so üblich. Ich stand also mit auf und sinnierte darüber, wie viele der stehenden Amerikaner wohl wussten, dass sie einem britischen Brauch folgten, der auf König Georg II. zurückgeht. Der war, so sagt die Legende, beim Halleluja vor Begeisterung aufgesprungen. Seine Untertanen mussten sich daraufhin ebenfalls von ihren Plätzen erheben.

… und Mitsingen

Doch noch etwas anderes überraschte: Kaum stimmte der Chor die erste Silbe des Hallelujas an, sang der Herr vor mir mit Inbrunst mit. Zugegeben, nicht nur ich war verblüfft, auch seiner Tochter war das sichtlich peinlich. Eine Dame links hinter mir zog es vor, mitzusummen - leider ziemlich schräg. Die Weihnachtsstimmung wollte sich nicht so ganz einstellen. Doch die Lehrstunde in fremden Sitten und Gebräuchen war noch nicht zu Ende. Denn noch während des letzten Hallelujas zogen Vater und Tochter ihre Jacken an. Kaum war der letzte Ton verklungen, machten sie sich aus dem Staub - wie viele andere Besucher auch. Wie gut, dass es nahtlos zum dritten Teil des Oratoriums überging. Hätte es hier auch noch eine Pause gegeben, wäre wahrscheinlich die halbe Kathedrale leer gewesen.

So zeigt sich wieder einmal: Andere Länder, andere Sitten. Eine sangeskundige Freundin und die alleswissende Online-Enzyklopädie Wikipedia klärten mich dann auf, dass der Messias in Großbritannien als Mitsing-Konzert aufgeführt wird und oft nach dem Halleluja Schluss ist. Von der deutschen Konzertdisziplin keine Spur. Was will man da erst im unkonventionellen Amerika erwarten, wo eine der Steinfratzen hoch oben am nordwestlichen Turm der Kathedrale die Züge von Darth Vader trägt, dem Bösewicht aus "Krieg der Sterne".

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Oliver Pieper