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„Haft in Usbekistan ist ein gefährlicher Ort“

17. November 2005

Im Interview mit DW-RADIO spricht Usbekistan-Experte Georg Warning über die ersten Urteile im Andischan-Prozess, westliche Reaktionen darauf und das Verhältnis Deutschlands zu usbekischen Machthabern.

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Interview mit DW-RADIOBild: DW

Georg Warning ist Usbekistan-Koordinator der deutschen Sektion von amnesty international.

DW-RADIO/Russisch: Herr Warning, zu Beginn dieser Woche sind in Usbekistan die ersten Urteile im Gerichtsprozess wegen der Unruhen in Andischan im Mai dieses Jahres gefällt worden. Die Verurteilten müssen bis zu 20 Jahre in Haft - es wurde jedoch kein Todesurteil vollstreckt, obwohl dies nach dem usbekischen Strafgesetzbuch durchaus möglich gewesen wäre. Was halten Sie von den Urteilen?

Georg Warning: „Prinzipiell freue ich mich natürlich, dass kein Todesurteil verhängt wurde. Allerdings muss man natürlich auch sagen: Die Leute, die jetzt verurteilt wurden, kehren in Haft zurück, und Haft in Usbekistan ist ein gefährlicher Ort. 18 Jahre – ich würde sagen, schon ein halbes Jahr in usbekischen Gefängnissen kann einem die Gesundheit bleibend ruinieren. Wer von den Urteilten nach 18 Jahren da lebend heraus kommt, möchte ich erst einmal sehen.

Es ist auf alle Fälle ein Pluspunkt, dass sie nicht hingerichtet werden, weil das in Usbekistan sehr schnell geht, aber das Gefängnis ist keineswegs eine Garantie, dass die Leute überleben. Nur hat man dann eine Chance – es muss ja nicht sein, dass dieses Regime ewig lebt, dass vorher vielleicht der Wechsel kommt, bevor die Leute sterben.“

Als in Taschkent die Urteile bekannt gegeben wurden, hielt sich Präsident Karimow in Moskau auf,, um dort einen Freundschaftsvertrag mit dem russischen Präsidenten zu unterzeichnen. Wie beurteilen Sie dieses Detail?

Wir sehen natürlich, dass Karimow immer wieder schaut: wo kann er sich anlehnen, ohne dass man ihm zu viel in seine Geschäfte reinpfuscht. Und nachdem die USA, die ja schon viele Augen zugedrückt haben, was sein Folterregime angeht, nun doch beim Massaker von Andischan gesagt hatte, das sollte von einer unabhängigen internationalen Kommission untersucht werden, und er das nicht gemacht hat, sondern stattdessen die amerikanischen Truppen aus Usbekistan rausgeworfen hat, ist natürlich nahe liegend, dass er dann schaut: Wie ist es denn mit China, mit Russland – kriege ich denn da Hilfe und Unterstützung?

Die EU hat am Montag ein Einreiseverbot für hochrangige usbekische Politiker verhängt. Dennoch wurde bekannt, dass der usbekische Innenminister sich zurzeit für eine ärztliche Behandlung in Deutschland aufhält. Ihre Meinung?

Natürlich hat ein Kranker ein Anrecht, behandelt zu werden. Aber warum soll er eine Extrawurst bekommen, und vor allem: Warum muss die Bundesrepublik dabei auch noch EU-Sanktionen brechen, die man gemeinsam beschlossen hat? Was ist dann eine EU-Außenpolitik, wozu gibt es die?

Was sind denn solche Sanktionen der EU wie etwa das Einreiseverbot überhaupt wert?

Wenn es gebrochen wird, dann ist es nichts wert. Dann sieht die usbekische Regierung ja: Die Beschlüsse der EU sind Papiertiger, von denen brauchen wir nichts zu halten und haben nichts zu befürchten. Das ist der Unterschied: Wenn die Amerikaner nein sagen, ist das ein Nein. Ich hätte zumindest gefunden, dass die deutsche Seite dann auch sich nicht erpressen lässt. Ich finde es eine Unverschämtheit. Entweder ist man gemeinsames Europa, und es ist ein Ziel, zusammenzuwachsen, oder jeder brät seine Extrawürste. Und die Bundesregierung, und das gilt von Kohl bis heute, die haben Usbekistan eigentlich immer hofiert und nie klare Worte gesagt

Acht Monate nach dem Massaker im Mai lässt das öffentliche Interesse immer stärker nach. Glauben Sie, dass Andischan in Vergessenheit geraten wird?

Nein. Andischan ist ein Wendepunkt, genau so wie Tiananmen in China – jeder, der sich für China interessiert und was dort läuft und gelaufen ist, weiß es. Da können die Herrschaften sich noch so gut mit den hiesigen Politikern und Geschäftsleuten verstehen, das geht nicht unter. Und ich denke auch, Leute aus dem journalistischen Bereich werden das als markanten Eckpunkt der neueren usbekischen Geschichte ebenfalls in Erinnerung haben – egal, ob in Deutschland, in England oder in Russland.

Das Interview führte Britta Kleymann

DW-RADIO/Russisch, 16.11.2005, Fokus Ost-Südost