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"Wir werden keinen Durchbruch erleben"

Sven Pöhle1. Mai 2014

NSA-Affäre, US-Drohnenkrieg aus Deutschland, Ukraine-Krise. Beim US-Besuch von Kanzlerin Merkel besteht Redebedarf. Doch die Interessen der Verbündeten haben sich auseinanderdividiert, sagt Politiologe Christian Hacke.

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Prof. Dr. Christian Hacke Universität Bonn (Foto: Uni Bonn)
Bild: Uni Bonn

DW: Herr Hacke, Bundeskanzlerin Angela Merkel wird erstmals seit ihrer Wiederwahl in Washington erwartet. Es ist das erste persönliche Treffen Merkels mit US-Präsident Barack Obama seit bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst NSA in der Vergangenheit auch das Mobiltelefon der Kanzlerin abhörte. Ist der Graben über den Atlantik seitdem größer geworden?

Christian Hacke: Er ist zumindest nicht geringer geworden. Das Vorgehen der Amerikaner war ein enormer Vertrauensbruch und das hat nachhaltige Wirkung. Sowohl im persönlichen Bereich als auch im Verhältnis der Beziehungen zueinander.

Wird Angela Merkel die unangenehmen Themen wie die NSA-Affäre bei ihrer Reise überhaupt ansprechen?

Ich glaube schon, dass sie das tun wird. Aber im Vorfeld haben wir innerhalb der vergangenen Monate gemerkt, dass die USA und besonders Präsident Obama sich ziemlich unbeeindruckt lassen von den deutschen Vorhaltungen.

Und das ist nicht ohne Grund so. Die Amerikaner haben technologisch gesehen heute im militärischen Bereich eine Ausnahmesituation erreicht. Das ist ein Monopol mit Blick auf Cyberwar, auf Drohnen und auf die Fähigkeit, andere auszuspionieren. Diese drei Komponenten werden sich die USA erst mal nicht nehmen lassen und versuchen, ihre einmalige Position zu halten. Das Paradoxe dabei ist nur, dass die Außenpolitik der USA und auch die Sicherheitspolitik trotz überwältigender technologischer Fähigkeiten fast auf ganzer Ebene erfolglos geblieben ist.

Also kann Deutschland auch jetzt nicht mit einem Einlenken der USA rechnen?

Nein. Wir müssen nüchtern sehen, dass sich die Interessen auseinanderdividiert haben. Latent waren diese unterschiedlichen Interessen immer vorhanden. Das war auch nie schlimm. Die gemeinsame Wertebasis war entscheidend. Es gab immer eine Nähe und die Bereitschaft, auf den anderen zu hören und von dem anderen Positionen zu übernehmen. Das Entscheidende war damals, dass es in den transatlantischen Beziehungen eine konstruktive Rivalität gab.

Und die ist jetzt verloren gegangen?

Sie ist verloren gegangen, weil die Probleme auch substanziell zeigen, dass wir unterschiedliche Auffassungen haben. Früher war Amerika übermächtig und die Deutschen hatten weniger zu sagen in der Weltpolitik und in Europa. Heute müssen die USA starke Machteinbußen hinnehmen. Und sie sind auch in vielerlei Hinsicht unklug geworden. In seiner zweiten Amtszeit sind bei Barack Obama zunehmend Züge von einer Arroganz von Macht zu sehen, die wir vorher so nicht kannten.

Washington fährt in der Ukraine-Krise eine harte Linie gegenüber Moskau. Liegt das auch im deutschen Interesse?

Deutschland sollte sich weder vor den Karren der USA, noch vor den Karren der Russen spannen lassen. Die Kanzlerin und der Außenminister ziehen hier an einem Strang. Beide sind sehr vorsichtig und schauen sich die relativ harte Position der Amerikaner - Stichwort Sanktionen - mit großer Zurückhaltung an. Denn wenn die Amerikaner irgendwo Aufklärungsflugzeuge der NATO aufsteigen lassen, ist das alles nur um der Öffentlichkeit zu zeigen: Wir tun etwas. Aber in Wirklichkeit hat der Westen den Willen und die Fähigkeit verloren, Putin zu signalisieren: Wir sind militärisch stärker und politisch entschlossener.

Sollte man nicht gerade deswegen in dieser Krise eine gemeinsame Linie fahren?

Deutschland hat zentrale und wichtige Interessen gegenüber Russland. Diese sind stärker und langfristig für uns wichtiger als die Frage, wie die Ukraine-Krise gelöst wird. Das ist zwar unpopulär, aber es ist langfristig wichtiger, als dass wir uns jetzt konfrontativ in der Ukraine engagieren und damit vielleicht den Amerikanern einen Gefallen tun würden. Die sind letztlich auch gar nicht daran interessiert. Ich bin sicher, dass die Kanzlerin in Washington sehr klar sagen wird: Wir müssen die Krise dort kleinhalten. Sie wird alles dafür tun, dass die Krise nicht weiter eskaliert.

Was wird am Ende der Reise Merkels stehen? Mission erfüllt: Vertrauen wieder hergestellt?

Nein, das glaube ich nicht. Wir werden keinen Durchbruch erleben. Wir werden von ihr natürlich rhetorisch die Bekräftigung der gemeinsamen Werte und der transatlantischen Interessen hören. Vielleicht wird man versuchen, den ein oder anderen kleinen Punkt hervorzuheben, aber in den Schlüsselfragen ist klar, dass wir auf eine Zeit zugehen, in der - aus welchen Gründen auch immer - Europa aber auch Deutschland seine transatlantische Bindung verringern wird. Das sehe ich als alter Transatlantiker mit einer Träne im Auge.

Christian Hacke ist emeritierter Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Seine Forschungs-Schwerpunkte sind unter anderem die US-Außenpolitik und die transatlantischen Beziehungen.

Das Interview führte Sven Pöhle.