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Richtig und falsch zugleich

6. November 2009

Seit der Bombardierung von zwei Tanklastzügen in Afghanistan steht die Bundeswehr in der Kritik. Jetzt hat der neue Verteidigungsminister Guttenberg den NATO-Bericht bewertet. Nina Werkhäuser kommentiert.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW

Es ist das erste Mal seit dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes, dass ein Verteidigungsminister seinen Soldaten "Verfahrensfehler" und "Ausbildungsmängel" vorwirft. Gemessen am üblichen Hang der Militärs zur rhetorischen Verschleierung von Fehlentscheidungen ist das starker Tobak. Gleichzeitig ist es eine Art Vorwärtsverteidigung des neuen Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg in einem Fall, in dem nicht mehr viel zu verschleiern ist. Es ist offensichtlich, dass der zuständige deutsche Kommandeur übereilt einen folgenschweren Luftangriff angeordnet hat, bei dem es viele Todesopfer gab - Taliban und Zivilisten. Weder standen deutsche Soldaten zu diesem Zeitpunkt im Feuergefecht und bedurften der Luftunterstützung, noch wurde der Versuch unternommen, die Aufständischen per Tiefflug von den gestohlenen Bundeswehr-Lastwagen zu vertreiben.

Nun hat es die Einschätzung möglicher Gefahren an sich, dass sie subjektiv sehr unterschiedlich ausfallen kann. Der zuständige Bundeswehr-Oberst fürchtete anscheinend, dass die Taliban die Lastwagen als rollende Bomben gegen die Bundeswehr einsetzen würden und wollte dies um jeden Preis verhindern. Minister Guttenberg scheint ebenfalls von einer solchen Bedrohung auszugehen, wenn er den Befehlsgeber in Schutz nimmt. "Militärisch angemessen" sei der Angriff gewesen, urteilt Guttenberg auch nach dem Studium des geheimen Untersuchungsberichts der NATO.

Damit bleibt der neue Minister bei der Sprachregelung, die sein Haus ausgegeben hatte, als er noch gar nicht Verteidigungsminister war. Aufhorchen lässt allerdings seine Einschätzung, die Verfahrensfehler änderten nichts an der Gesamtbewertung. Hier versucht Guttenberg eine Trennung, die argumentativ schwer durchzuhalten ist. Denn hätte sich der deutsche Oberst an alle Einsatzregeln gehalten, hätte der Angriff vermutlich nicht stattgefunden. Das klingt sehr nach einem Ablenkungsmanöver.

Besonders tragisch war der Angriff nicht nur wegen des Todes von Zivilisten. Er kam just zu der Zeit, als der neue US-amerikanische ISAF-Kommandeur von den NATO-Truppen mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung eingefordert hatte. Dementsprechend verschnupft reagierten einige Verbündete auf den fatalen Donnerschlag der sonst eher zurückhaltenden Bundeswehr.

Was sich auch immer in der Nacht vom 3. auf den 4. September genau abgespielt hat: Es zeigt das Dilemma der Bundeswehr, die in einen Stabilisierungseinsatz gezogen war und jetzt in Afghanistan in einem bewaffneten Konflikt ist. Das wirft die rechtliche Frage nach der Einhaltung des Völkerstrafrechts durch die deutschen Soldaten auf - und dazu gehört auch der Schutz von Zivilisten. Mit dieser komplizierten Frage muss sich nun erstmals die Bundesanwaltschaft beschäftigen. Das könnte zu einer ganz neuen Bewertung des Einsatzes und der Einsatzregeln führen.

Autorin: Nina Werkhäuser

Redaktion: Kay-Alexander Scholz