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Guten Appetit!

Andreas Schmidt21. Oktober 2002

Kleinkinder schlucken alles, auch Münzen. Gefährlich kann es werden, wenn sie amerikanisches Geld verzehren. Ein deutscher Chirurg hat sich gefragt, was passiert, wenn die kleinen Nimmersatte Euros verschlucken.

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Nicht nur der Daumen schmeckt, sondern auch Münzen wecken die NeugierdeBild: Illuscope

"Essen ist orale Magie," schreibt der Schweizer Autor Erhard Taverna, der Magen sei ein "Füllhorn des Glücks." Das denken wohl auch Babys, wenn sie mit etwa einem halben Jahr anfangen, sich Metallgegenstände in den Mund zu stecken. Doch es wäre voreilig, ihnen Geldgier zu unterstellen.

Entdeckungsdrang mit natürlicher Verdauung

Kinderarzt Oliver Muensterer kennt den Entdeckungsdrang. Vor allem wenn Münzen einfach überall herum lägen, erläutert er im Gespräch mit DW-WORLD. Ihre Form, ihre Temperatur und Beschaffenheit zu erkunden, "das ist für Kinder eine wichtige taktile Erfahrung." Und das geschickteste Werkzeug, über das Babys verfügen, ist nun einmal der Mund. Da braucht es nur einen Schreckmoment, und die Münze rutscht durch die Speiseröhre in den Magen, wo sie dann auch gerne liegen bleibt. Denn am Magenausgang wacht der Pylorus, ein Ringmuskel, der nur hinreichend verdaute Nahrung in den Darm lässt.

Jede Woche kommen mindestens zwei kleine Patienten mit Münzen im Magen zu Oliver Muensterer in die Münchner Kinderchirurgie. Meistens schlägt der Chirurg zuerst die Therapie "Abwarten" vor. "Irgendwann schaffen es viele Münzen am Magenpförtner vorbei und werden auf dem normalen Weg ausgeschieden." Das kann aber Tage und Wochen dauern, derweil die Münze in der Magensäure schwappt.

Gefährliche US-Münzen

Bei Mark und Pfennig war das kein Problem. Die harte Währung hielt der Säure stand. Doch wie hart ist der Euro?, fragte sich Muensterer im vergangenen Winter und begann eine Studie, mit der er mittlerweile fast zur Berühmtheit gelangte. Grundlage war die Arbeit von US-Kollegen. Die hatten vor Jahren nachgewiesen, dass es gefährlicher ist, neue US-Cent-Münzen zu schlucken als alte. Die neuen bestehen nämlich hauptsächlich aus dem unedlen Zink, das sich im Magen teilweise auflöst. "Die Münzen haben deswegen nach wenigen Tagen scharfe Kanten und müssen operativ entfernt werden," so Muensterer. Außerdem entstehen giftige Mengen Zinkchlorid, wenn sich der US-Cent zersetzt.

Für seinen Magentest mit dem Euro kaufte sich Oliver Muensterer ein "Starter Kit" und legte es in Salzsäure ein. Jeden Tag machte er eine Röntgenaufnahme, doch selbst nach einer Woche gab es kaum Anzeichen von Korrosion. Der Euro hat den Magentest bestanden. Entwarnung für Ärzte: Sie können auch bei verschluckten Euros in Ruhe das Ergebnis einer gutfunktionierenden Verdauung abwarten.

Freiheit Dank metallischer Kost?

Gute Nachrichten also für Kinder und Eltern, schlechte hingegen für andere Patienten. Denn nicht nur Kinder verzehren Geld. "Manche Patienten wollen unbedingt operiert werden und denken sie schaffen es, wenn sie Münzen schlucken," erzählt Muensterer. Er diagnostiziert bei diesen Verzehrern aber eher ein "psychiatrisches Leiden". Anders bei gelangweilten Häftlingen, die sich durch metallische Kost Freiheiten in der Klinik erhoffen. Die müssen sich für eine Operation schon mehr einfallen lassen – und das tun sie auch. Zum Beispiel, in dem sie zusätzlich einen Magneten schlucken. Ein Hauch oraler Magie.