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Gut, dass wir drüber reden ...

Alexander Kudascheff11. Februar 2003

Lange genug hat es ja gedauert. Doch jetzt ist es amtlich: Die Europäische Union trifft sich zu einem außerordentlichen Krisengipfel. Warum, erläutert DWTV-Korrespondent Alexander Kudascheff.

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Vorsichtigerweise wartet man mit dem Termin noch ein bisschen ab bis zum Montag. Dann weiß man auch in Europa, was Chefinspektor Hans Blix dem Sicherheitsrat vorgelegt und wie Washington reagiert hat. Immerhin weiß die EU dann, worüber sie zu reden hat. Doch an der tiefen, an der dramatischen, Zerissenheit in der Europäischen Union ändert das nichts.

Es geht ein Riss durch Europa: Auf der einen Seite stehen England, Spanien, die "Fast"-EU-Mitglieder Polen, Ungarn, Tschechien, eigentlich auch die drei baltischen Staaten, selbst Rumänien und Bulgarien, die zwar demnächst der NATO, aber frühestens 2007 der EU beitreten werden. Sie alle halten den politischen und militärischen Schulterschluss mit Washington für nötig und selbstverständlich. Auf der anderen Seite stehen Frankreich, Deutschland, auch Belgien. Sie wollen einen Krieg als letztes Mittel der Politik verhindern, sie setzen auf die Diplomatie, um Saddam Hussein zum Einlenken zu bewegen. Und sie sind bereit, ihre Kritik am amerikanischen Vorgehen laut, vernehmlich und öffentlichkeitswirksam vorzutragen.

Dabei ist die Lage komplex und vielschichtig. Denn ohne jede Frage: Die große, die überragende, Mehrheit der Europäer ist gegen einen Krieg, auch gegen einen Militärschlag - in Deutschland wie in Spanien, in England wie in Polen. Aber das wärmende Wir-Gefühl der großen europäischen Friedensbewegung von 1991 stellt sich diesmal nicht ein. Die französischen Intellektuellen wiederum, beim letzten Golfkrieg noch erklärte Bellizisten, sind jetzt kriegsmüde und zurückhaltend, die deutschen Schriftsteller in ihrem Antikriegsengagement eher müde bis apathisch. Bleibt die große Politik. Und da erstaunt, mit welchem eher nationalkonservativen Gestus der Sozialdemokrat Schröder seinen deutschen Weg preist und geht - und unerschüttert alles an die Wand fährt: das deutsch-amerikanische Verhältnis ebenso wie die NATO und auch seinen eigenen Außenminister.

Obwohl Schröders apodiktisches Nein zum Krieg von den Deutschen geteilt wird, erschreckt sein politischer Umgang mit dem Nein dieselben Bürger. Sie ahnen, dass Schröder einen politischen Trümmerhaufen anrichtet. Chirac dagegen verhält sich geschmeidig, hält sich alle Türen offen, ist selbst jetzt noch in der Lage, letztendlich an der Seite Washingtons zu stehen - und den deutschen Freund im Regen zu lassen. Und die Briten? Sie sind unverbrüchlich stolz auf ihre besonderen Beziehungen zu den USA und auf jeden Fall bereit, mit loszuschlagen, wenn der amerikanische Präsident den Marschbefehl gibt.

Und was soll da ein Sondergipfel? Welche Kompromisslinien gibt es? Wie könnte ein europäisches Konzept aussehen? Niemand weiß es, schon gar nicht die griechische Ratspräsidentschaft, die in dieser Krise überfordert ist. Sie müsste Mittler sein zwischen den europäischen Antipoden, sie müsste den Schulterschluss suchen und vermitteln - und steht doch nur im Abseits. Nicht ernst, nicht wichtig genommen, das ist die Rolle Athens.

Auf dem Brüsseler Gipfel wird sich zeigen: Selbst wenn es irgend eine Art von Formelkompromiss geben sollte, in der Sache ist Europa zerissen. Und das Manifest der acht promaerikanischen Europäer hat diese Spaltung ebenso bewirkt wie die resolute Bereitschaft zu Alleingängen durch Schröder und Chirac. Fazit: Normalerweise ist ein Gipfel besser als keiner - diesmal würde er besser ausfallen.