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Guerilla-Dinner

2. Juni 2010

Die Anmeldung erfolgt per Email, die Adresse erhält der Gast erst 24 Stunden vorher. DW-Reporterin Nadine Wojcik tauchte ab in ein Berliner Untergrund-Restaurant und ließ sich vom "Shy Chef" bekochen.

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Der Koch "Shy Chef" veranstaltet sogenannte Guerilla-Dinners in Berlin. Für jedes Abendessen mietet er jeweils eine andere Wohnung an. Sowohl Koch als auch Gäste bleiben geheim (Foto: DW/Nadine Wojcik).
Bild: DW

Die geheimnisvolle Adresse entpuppt sich als ein pompöses Wohnhaus aus der Gründerzeit. Keine schlechte Adresse. Auf dem Klingelschild ist neben einem der Knöpfe eine Notiz mit Tesafilm angeklebt: "Chef" steht da, womit wohl der "Shy Chef" gemeint ist, der schüchterne Koch. Aufstieg in den vierten Stock, dort ist die Tür bereits geöffnet.

Janis empfängt mich mit einem Glas rosafarbenen Prosecco. Kurze Haare, ein gepflegter, ebenfalls kurzer Bart, schlicht gekleidet in Hemd und Hose. Janis ist zwar nicht der Koch, sondern der Gästebetreuer und einzige Kellner, dafür aber auch etwas schüchtern. Er entdeckt mein Aufnahmegerät und nimmt mich dezent zur Seite: Keine Aufnahmen während des Essens, die Gäste sollen weder sehen noch wissen, dass ich einen Beitrag mache. Wie jetzt? Wie stellt er sich das denn vor? Keine Interviews mit den Gästen? Dann würde ich gerne zumindest jetzt schon einmal den Koch sprechen! Janis schüttelt den Kopf. Nein, der Koch kann das jetzt gar nicht gebrauchen und in der Küche dürfe ich sowieso nicht stören.

Beleidigte Reporterwurst

Na schön, jetzt kocht nicht nur der "Shy Chef", sondern auch ich - zumindest innerlich. Ich stiefele mit meinem Prosecco ins Wohnzimmer, lasse mich auf einen stilvollen Ledersessel fallen und schmolle. Nicht nur, dass ich um meine Reportage fürchte - jetzt bin ich auch noch gezwungener Maßen "undercover" und gehöre wie jeder andere auch zu den Gästen. Und ich bin allein.

Der Koch "Shy Chef" veranstaltet sogenannte Guerilla-Dinners in Berlin. Für jedes Abendessen mietet er jeweils eine andere Wohnung an. Sowohl Koch als auch Gäste bleiben geheim (Foto: DW/Nadine Wojcik).
Secret Dinner Club: die Gäste bleiben inkognito - allerdings nur fürs FotoBild: DW

Doch ich komme schnell ins Gespräch. 17 Leute werden an diesem Abend hier speisen, ein Pärchen lerne ich gleich in den ersten fünf Minuten kennen. Wir schauen uns genauer in der Wohnung um, die unglaublich modern und schlicht eingerichtet ist - wie aus einem Magazin für Innenarchitektur. Extra angemietet, erfahre ich später vom Kellner, nur für diesen Abend. Die Wohnung gehört den Filmstudios Babelsberg und hier wohnen normaler Weise Hollywood-Größen, wenn sie gerade in Berlin drehen: wie zuletzt Diane Kruger oder Quentin Tarantino.

Gesellschaft mit Tischmanieren

Wir setzen uns an eine lange Tafel. Janis bringt die Vorspeise, Teller für Teller. Bei 17 Leuten dauert das ein wenig, doch wir warten höflich bis jeder die gefüllten Champignons vor sich hat. Die Füllung der Pilze ist ungewöhnlich und meine Zunge schmeckt interessante, neue Kräuter. Einfach lecker.

Der Koch "Shy Chef" veranstaltet sogenannte Guerilla-Dinners in Berlin. Für jedes Abendessen mietet er jeweils eine andere Wohnung an. Sowohl Koch als auch Gäste bleiben geheim (Foto: DW/Nadine Wojcik).
Stylische StarwohnungBild: DW

Fast mehr noch als das Essen überraschen mich die Tischgespräche: Links neben mir sitzt ein Staatsbeamter, der sich gerade auf einen Einsatz in Kabul vorbereitet. Rechts von mir ein Filipino, der mit zwei Jahren unter merkwürdigen Umständen zur Adoption nach Deutschland kam, mir gegenüber eine amerikanische Kunstprofessorin, die im Libanon lebt und in Berlin zu moderner libanesischen Kunst forscht. Später werde ich noch zwei Stewards kennenlernen und eine Mutter mit ihrem Sohn aus Israel.

Essen mit neuen Bekannten

Mit jedem Gang wird die Runde geselliger und der Abend unvergesslicher. Der Wein ist vorzüglich. Das Essen natürlich auch, wie beispielsweise das unglaublich sämige Weißweinrisotto mit Chili oder die karamellisierten Erdbeeren mit einer Art Rosmarin-Creme.

Und schließlich lässt auch er sich blicken: der "Shy Chef". Der schüchterne Koch stellt sich als Kosta aus Griechenland vor. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem Cousin Janis schmeißt der 31-Jährige das Guerilla-Dinner.

Der Koch "Shy Chef" veranstaltet sogenannte Guerilla-Dinners in Berlin. Für jedes Abendessen mietet er jeweils eine andere Wohnung an. Sowohl Koch als auch Gäste bleiben geheim (Foto: DW/Nadine Wojcik).
Limoncello - köstlicher Absacker, ausgesucht vom "Shy Chef"Bild: DW

Erst nach dem fünfstündigen und fünfgängigen Menu erfahren wir, dass Kosta einen Tag vor dem Essen ins Berliner Umland fährt und erst dort anhand des Angebots der Bauern entscheidet, was es am nächsten Tag zu essen gibt. Dass die Marke "Shy Chef" eigentlich von einer Frau gegründet wurde und er nach drei Jahren das Konzept weiterführt. Dass er in Australien kochen gelernt hat, aber eigentlich als Regisseur in Berlin arbeitet.

"Die Rechnung bitte!"

Janis lässt eine Pfanne mit einer bunten Papierserviette rumgehen - 61 Euro kostet die Spende für das Menu, einige legen noch was extra dazu. Gegen halb zwei löst sich die Runde auf. Einige haben Telefonnummer ausgetauscht oder sich mit den Worten "wir sehen uns auf Facebook" verabschiedet.

Als alle weg sind, bekomme ich mein Aufnahmegerät zurück und den schüchternen Koch dann auch vors Mikro. "Wir lieben einfach diese geselligen Runden. Die meisten glauben uns das nicht, aber das stimmt wirklich. Du siehst ja, wie es jetzt hier aussieht und wir werden gleich noch aufräumen müssen."

Ich blicke kurz auf den langen Tisch, der übersäht ist mit leeren Gläsern, Weinflaschen und Papierservietten. Stimmt, wir haben schon ein kleines Chaos hinterlassen. Dem schüchternen Koch macht das aber nichts aus. "Der Moment, in dem wir unsere Gäste bis in die Küche lachen hören, ist unser Lohn. Deswegen machen wir das. Das tut unserer Seele irgendwie gut."

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Conny Paul