1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kurdisch-türkische Chance?

Oliver Samson7. Mai 2007

Die Kurden sind mit ihrem Quasi-Staat die Gewinner des Irak-Krieges. Für die Türkei wäre ein echter Kurdenstaat schwer zu akzeptieren. Trotz Kriegsrhetorik und Terrordrohungen stehen die Zeichen aber auf Koexistenz.

https://p.dw.com/p/ANUb
Generalstabschef Yasar Büyükanit: Bereit zum Einmarsch. Quelle: AP
Generalstabschef Yasar Büyükanit: Bereit zum EinmarschBild: AP

Der türkische Generalstabschef Yasar Büyükanit fand markige Worte: Die Türkei sehe sich den größten Gefahren seit ihrer Gründung gegenüber, donnerte er bei einem USA-Besuch im Februar. Am gefährlichsten für die Türken, da war sich Büyükanit sicher, sei die Lage im Nordirak. Dort, wo die Kurden seit dem ersten Golfkrieg weitgehend autonom regieren. Dort, wo die Kurden ihrem Traum vom eigenen Staat nahe kommen wie nie zuvor - und wo viel Öl liegt.

Das kurdische Gespenst

30 Millionen Kurden leben verteilt auf den Iran, Syrien, Irak und die Türkei. An einer kurdischen Eigenstaatlichkeit hatte keiner dieser Mächte je Interesse. "Das Kurden-Problem ist deutlich älter als der irakische Staat", sagt Awat Asadi vom "Zentrum für kurdische Studien". Er hat in einer sehr positiv aufgenommenen Studie die Geschichte des scheinbar aussichtlosen Kurden-Konflikts akribisch erforscht. Kurdische Souveränität, gar ein "Großkurdistan" war stets ein nationales Schreckgespenst. Saddams Giftgas-Angriff auf den kurdischen Ort Halabdscha mit über 5000 Toten war dabei der grausamste Akt der Unterdrückung.

Karte Historisches Kerngebiet der Kurden
Bild: GNU/DW

In der Türkei leben heute zwölf Millionen Kurden. Seit Jahrzehnten sind der türkische Staat und kurdische Separatisten in eine fatale Logik von Terror und Gegenterror verstrickt. Inzwischen ist zwar die kurdische Sprache nicht mehr verboten und kurdische Abgeordnete sitzen im Parlament von Ankara, doch noch immer bomben die kurdischen Extremisten der PKK. Die Armee bekämpft die PKK im Osten der Türkei mit Panzern und Hubschraubern und würde am liebsten im Nord-Irak einmarschieren, sobald es denn die Politik wolle, wie der Generalstabschef unlängst sagte.

Öl für Kurdistan

Doch Premier Tayyip Erdogan hält sich mit militärischen Abenteuern zurück. Die Opposition und führende Militärs werfen ihm und der regierenden AKP deshalb schon lange vor, zu kurdenfreundlich zu sein.

Wenn es um die Stadt Kirkuk geht, droht aber auch der außenpolitisch moderate Erdogan Sanktionen an - und schließt eine militärische Option nicht völlig aus: Die erdölreiche Region um Kirkuk steht unter der Kontrolle der Zentralregierung in Bagdad. Bis Ende 2007 soll es aber ein Referendum geben, so steht es in der irakischen Verfassung. Es ist sicher, dass die Kurden gewinnen - das Öl von Kirkuk könnte somit die wirtschaftliche Lebensgrundlage für einen autonomen Kurdenstaat werden.


Ölförderung in Kirkuk. Quelle: AP
Ölförderung in KirkukBild: AP

Auf die wiederholten Drohungen Ankaras reagierte der irakische Kurdenführer Massoud Barzani barsch: Wenn die Türkei unter dem Vorwand einiger tausend dort lebender Turkmenen in Kirkuk interveniere, so "werden wir uns im Namen der Millionen Kurden der Türkei in Diyarbakir und in andere türkische Städte einmischen". Dem Vernehmen nach hatten der irakische Staatspräsident Dschalal Talabani - ein Kurde aus dem Norden - und US-Außenministerin Rice große Mühe, die Wogen wieder zu glätten.

"Schlechte Karten"

"Letztlich hat die Türkei schlechte Karten, um zu verhindern, dass Kirkuk kurdisch wird", meint Türkei-Experte Heinz Kramer von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Über die Folgen militärischer Abenteuer im Irak gibt es Anschauungsbeispiele wie nie, Sanktionen würden auch die Türkei treffen: Türkische Unternehmen verdienen im prosperierenden Nordirak bestens. Die Kurden haben außerdem Freunde mit Gewicht. "Die Amerikaner können es sich nicht erlauben, ihre einzigen Verbündeten im Irak zu verprellen", sagt Kramer. Für die kurdische Sache sieht es deshalb so gut aus wie noch nie.

"Realistisch wie Großarabien"

Massoud Barzani. Quelle: AP
Massoud BarzaniBild: AP

Ein kurdischer Staat an der Ostgrenze müsste für die Türkei trotz aller Ur-Ängste gar nicht von Grund auf negativ sein. "Die Angst vor einem Großkurdistan ist ungefähr so realistisch wie die Angst vor einem Großarabien", meint Asadi. Die Wirtschaft und auch die Mehrheit der Bevölkerung stehe inzwischen für eine gemäßigte Außenpolitik, sagt Türkei-Experte Kramer. "Das dürfte man auch bei den anstehenden Wahlen sehen." Beide Seiten müssten es nur schaffen, die Extremisten unter Kontrolle zu halten: die PKK auf der einen, die türkischen Ultra-Nationalisten auf der anderen Seite.

Und falls es wirklich irgendwann einen kurdischen Staat geben sollte: Das kurdische Öl muss schließlich auch von dort wegtransportiert werden - eine Pipeline über die Türkei wäre die günstigste Lösung für alle - und die Türken würden kräftig mitverdienen am Öl-Schatz von Kirkuk.