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Politik

"Großer Bedarf an deutscher Führung"

17. Februar 2017

Die geopolitische Lage war seit Jahrzehnten nicht mehr so riskant wie heute, sagt der Politikwissenschaftler Ian Bremmer im DW-Interview. Jetzt sei Deutschlands Führungsstärke gefragt.

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Deutschland MSC2017 Ian Bremmer
Bild: DW/F. Simsek-Franz

Deutsche Welle: Was erwarten Sie von der Münchner Sicherheitskonferenz in den nächsten Tagen?

Ian Bremmer: Ich erwarte, dass es eine große Menge Sorgen und eine große Menge Vorsicht geben wird. Die Menschen versuchen zu verstehen, wie die US-Außenpolitik aussehen wird. Zwar gibt es eine kohärente Weltsicht hinter der Aussage "Amerika zuerst". Aber wie fähig ist Trump, sie umzusetzen? Inwieweit wird er auf moderatere Mitglieder seines Kabinetts wie Rex Tillerson oder General James Mattis hören? Das sind wirklich offene Fragen.

Wir sind jetzt am 28. Tag von Trumps Präsidentschaft. Die Tatsache, dass wir über Tage reden, zeigt, wie chaotisch, unsicher und beispiellos diese Präsidentschaft für die USA ist. Was wir ganz klar sagen können, ist, dass dies die erste Münchner Sicherheitskonferenz ist, bei der wir nicht auf den Präsidenten oder die USA als Anführer der freien Welt verweisen können. Und ich denke, das verunsichert die meisten Teilnehmer.

Es gibt viele Veränderungen in der globalen Ordnung im Moment. Sie veranstalten ein Forum zur Zukunft des Westens. Was denken Sie, was kommen wird?

Es ist ganz klar, dass wir derzeit einen Niedergang erleben. Die Frage ist, ob sich das an einem Punkt stabilisiert. Es ist sehr schwierig, über den Westen auf eine stimmige Weise zu sprechen, wenn die EU sagt: "Lasst uns einen Gipfel mit China abhalten, denn wir wollen Protektionismus vermeiden, wir wollen über freie Märkte reden." Die Chinesen sind eigentlich nicht der natürliche Partner dafür, aber sie sind es im Kontext eines "America first" der Trump-Regierung.

"Liberalismus schwierig zu fördern"

Der Westen ist weniger geschlossen, es gibt keine offensichtliche Führungsmacht in der Welt. Und das bedeutet mit Sicherheit, das Liberalismus und die liberale Ordnung nicht nur schwierig zu fördern sind, sondern auch etwas sind, was die Vereinigten Staaten unter Trump nicht aktiv fördern wollen, weder was Handel noch was Sicherheit und am wenigsten was Werte betrifft.

USA Donald Trump Betritt dem Marine One Helikopter auf der Andrews Air Force Base
Die Tage der Präsidentschaft werden gezählt: Trump auf dem Weg zum Marine One HelikopterBild: picture alliance/ZUMAPRESS

Die Rede ist viel von Deutschland als neuem Anführer der freien Welt. Ein großes Risiko, das Sie für 2017 ausgemacht haben, ist eine schwächere Angela Merkel. Was meinen Sie damit?

Wir haben entweder eine Merkel, die wieder Kanzlerin wird, allerdings mit einem schwierigeren Mandat, sowohl innerhalb ihres Landes und innerhalb ihrer Koalition als auch innerhalb Europas. Oder sie ist nicht mehr Kanzlerin. Seit 2008, seit dem Ausbruch der Finanzkrise, können wir darauf zählen, dass Deutschland Verantwortung dafür getragen hat, dass es Widerstandsfähigkeit gegenüber und Antworten auf Krisen gegeben hat. Und davon gab es viele.

Und es wird eine Menge weiterer Krisen für Europa in den nächsten Jahren geben: Denken Sie an die geopolitischen Unsicherheiten in der Welt, ausgehend von einem Nahen Osten, der zusammenbricht, ausgehend von Russland und den unsicheren Beziehungen zu den USA. All das zeigt wie ein Dolch auf den europäischen Kontinent. Und der Bedarf an starker Führung durch Deutschland war in der Nachkriegszeit nie größer. Und die Herausforderung für die Deutschen, dem zu entsprechen, wird immer größer.

China Ministerpräsident Li Keqiang und Angela Merkel
Gutes Verständnis: Merkel und Chinas Premier Li KeqiangBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Sie haben auch gesagt, dass Deutschland und die USA seit Beginn der Nachkriegszeit noch nie so uneins gewesen sind. Ist es nicht schwierig für Angela Merkel, in diesem Umfeld die Führungsstärke zu zeigen, von der Sie sprechen?

Sicher betrifft das die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Nun wird die Frage sein, in welchem Ausmaß Deutschland anderen Ländern gegenüber die Hand ausstreckt, etwa gegenüber den Chinesen. Beim Treffen in Davos in diesem Jahr oder beim APEC-Treffen in Lima hat Chinas Präsident Xi Jinping die Art von Rede gehalten, die wir früher vom US-amerikanischen Präsidenten erwartet hätten. Und ich denke, es wird von deutscher Seite größere Anstrengungen geben, enger mit den Chinesen zusammenzuarbeiten, um Stabilität zu haben.

"Eine riskante politische Umgebung"

Denken Sie zum Beispiel an den Kampf gegen den Klimawandel. Oder an den Frieden im Nahen Osten: Es wird schwierig für Deutschland, da mit den US-Amerikanern und den Russen zusammenzuarbeiten. Aber die Chinesen, die mehr Energie aus dem Nahen Osten beziehen als jeder andere, haben ein Interesse daran. Das Problem ist, dass Deutschland und China durch ihre Innenpolitik und ihre militärischen und diplomatischen Ressourcen eingeschränkt sind. Nur an der wirtschaftlichen Front sind Deutschland und China in der Lage, signifikante Stärke jenseits ihrer Grenzen zu zeigen. Und das ist nicht unser Fokus auf der Münchener Sicherheitskonferenz.

Sie sind Experte für politische Risiken. Ist es schwierig, auf die Frage der Risiken zu schauen in Zeiten wie diesen?

Dies ist der Beginn einer geopolitischen Rezession. Die Sache ist, dass es sich hier um sehr langfristige Zyklen handelt. Es ist bei Weitem die riskanteste politische Umgebung, seit ich meine Karriere in den 1990er Jahren begonnen habe. Aber es gibt Vor- und Nachteile. Wo es Unbeständigkeit gibt, gibt es auch Chancen. Das sollten wir nicht vergessen.

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Ian Bremmer ist spezialisiert auf globale politische Risiken und Initiator des Global Political Risk Index (GPRI) an der Wall Street.

Das Interview führte Sumi Somaskanda.