GroKo wird für SPD zur Zerreißprobe
13. Januar 2018Er ist gekommen, um zu überzeugen. Um 10.30 Uhr betritt Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am Samstag das Kur- und Kongresshotel in Wernigerode. Die SPD Sachsen-Anhalt hält in der kleinen Stadt im Harz ihren jährlichen Landesparteitag ab. Goslar, die niedersächsische Heimatstadt des langjährigen SPD-Vorsitzenden, ist nur 35 Kilometer entfernt. Eigentlich war der Auftritt Gabriels beim Parteitag des benachbarten Landesverbands als Geste der Verbundenheit geplant. Doch die Frage, ob die SPD in Berlin erneut Juniorpartner in einer Koalition mit der Union werden soll, ändert auch das.
Gerade erst sind in Berlin die Sondierungsgespräche mit der Unionzu Ende gegangen. Noch am Freitagabend sind zum Beginn des Landesparteitags in aller Eile Kopien des 28-seitigen Papiers mit den Ergebnissen an die 120 Delegierten verteilt worden. Nach der Lektüre sind viele Sozialdemokraten enttäuscht. "Viele Beschlüsse, die wir auf dem letzten Parteitag getroffen haben, sind einfach unter den Tisch gefallen", beklagt sich Anne Fiebig, Juso-Vorsitzende von Halle an der Saale. "Die soziale Gerechtigkeit spiegelt sich meines Erachtens überhaupt nicht in diesen Papieren wider." #NoGroKo, die Abkürzung für "keine große Koalition", steht auf dem großen roten Button, den sich Fiebig an ihren Pullover geheftet hat.
"Die Flüchtlinge müssen es ausbaden"
Diesen Button sieht man auf dem Landesparteitag sehr oft. Susi Möbbeck, Staatssekretärin im Landesarbeitsministerium Sachsen-Anhalt und Integrationsbeauftragte, trägt ihn zwar nicht. Trotzdem ist sie noch nicht davon überzeugt, dass ihre Partei in Berlin weiter in der Regierung bleiben sollte. Während Möbbeck in der Arbeitsmarktpolitik in dem Sondierungspapier "eine Menge Ansätze" sieht, die "entwicklungsfähig" seien, findet sie es "migrationspolitisch eine Katastrophe". Das habe sie so nicht erwartet. "Die restriktive Haltung, in der sich die CSU weitgehend durchgesetzt hat, ist für mich schon ein Hammer." Das sei wohl der Preis gewesen, den die Union von der SPD verlangt hätte. "Die Flüchtlinge müssen es ausbaden."
Sigmar Gabriel kann die Kritik durchaus verstehen, auch wenn er persönlich mit dem Sondierungsergebnis zufrieden ist. "Aber das wird Euch nicht wundern", sagt er an die Delegierten gewandt. Eine Dreiviertelstunde lang redet er den Genossen ins Gewissen. Es stimme nicht, dass sich die Union in den Sondierungen durchgesetzt habe. "Ich glaube, dass es eine Menge darin gibt, was klug ist und es gibt Dinge, die fehlen, das ist doch klar, aber wir sollten nicht so tun, als sei das alles schlecht." In der SPD sei man "heutzutage schon im Verruf", wenn man das Wort Kompromiss in den Mund nehme. "Das gilt gleich als Verrat."
Reicht es für eine Profilierung?
"Worüber wir streiten können ist, die Frage, reicht das", so Gabriel. "Kriegen wir genug, um uns zu profilieren und uns auf dem Weg der Erneuerung zu begleiten, den wir gehen müssen, um wieder stärker zu werden?" Opposition ist kein Rezept für Erfolg, so lautet die Kernbotschaft des langjährigen SPD-Vorsitzenden. "Sind wir der Überzeugung, dass wir stärker werden, wenn wir nach dem Scheitern von Jamaika jetzt sagen, wir wollen nicht dafür sorgen, dass die Krankenversicherung wieder paritätisch bezahlt wird, wir wollen nicht dafür sorgen, dass das gesetzliche Rentenniveau erhalten wird. Sind wir stärker, wenn wir sagen, wir wollen nicht dafür sorgen, dass Ganztagsschulen in Deutschland entstehen. Wir wollen nicht dafür sorgen, dass die EU mehr Geld bekommt. Sind wir dann stärker?"
Er sei sich sicher, dass die Wähler der SPD es nicht verstehen würden, wenn die Partei sich verweigern würde. "Ich möchte dieses Experiment auch gar nicht wagen, weil es in Neuwahlen enden würde."
In Bonn soll entschieden werden
Am 21. Januar soll ein SPD-Sonderparteitag in Bonn darüber entscheiden, ob auf den Abschluss der Sondierungsgespräche förmliche Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU folgen sollen. Das geht auf einen Vorschlag aus dem mitgliederstärksten und GroKo-kritischen SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen zurück, dem ein Bundesparteitag Anfang Dezember zugestimmt hatte. Falls die 600 Delegierten in Bonn mit Ja den Weg für Verhandlungen freimachen, stimmen am Ende die 450.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag ab.
Ein Verfahren, das Sigmar Gabriel nicht gut findet. Ihm hätte die Mitgliederbefragung am Ende der Koalitionsverhandlungen gereicht. Eine zusätzliche Hürde einzuziehen sei auch ein Misstrauensvotum an die Basis. "Wir haben inzwischen ein solches Misstrauen zwischen denen da oben und denen da unten in der Partei", klagt er. Auf Dauer sei das der Tod der SPD.
Juso-Chef will gegen die GroKo trommeln
Ein Argument, das vor allem junge Sozialdemokraten nicht gelten lassen wollen. Die Jusos hoffen darauf, dass einer Neuauflage der großen Koalition schon in Bonn ein Riegel vorgeschoben wird. Juso-Chef Kevin Kühnert hat angekündigt, er wolle bis zum Sonderparteitag durch ganz Deutschland touren, um gegen die GroKo zu trommeln. Kurzfristig ist er daher auch nach Wernigerode gekommen.
Knapp 20 Minuten lang zerpflückt er vor den Genossen das Berliner Sondierungspapier. Das werde von der SPD-Spitze vor allem deswegen als Erfolg verkauft, weil diese es in einer zuletzt 24-stündigen Marathonsitzung hart erarbeitet habe. "Das ist psychologisch verständlich, die Bewertung von Verhandlungsergebnissen muss aber am Wort erfolgen und nicht an einem schwierigen Verhandlungsverlauf."
Verschärfte Migrationspolitik
Zu viele sozialdemokratische Themen würden nicht auftauchen, andere seien "Altlasten", die die Union der SPD aus dem Koalitionsvertrag von 2013 noch schuldig sei. Kühnert sieht in dem Papier de facto auch eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen vereinbart. "Da steht, dass die Zuwanderungszahlen jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden, da steht nicht sollte oder könnte. Spätestens bei 220.000 ist damit Schluss und das ist nach allgemeinem Verständnis eine Obergrenze."
Bei den Delegierten kommt die Rede des Juso-Chefs gut an, er bekommt viel Applaus. Vor allem, als er den Umgang der Parteispitze mit dem Sondierungsergebnis kritisiert. "Ich hätte mir gewünscht, dass aus Berlin nicht nur eine Jubel-Powerpoint-Präsentation und geschönte Pressemitteilungen gekommen wären, sondern die klare Ansage, was geklappt hat und was eben nicht."
Zielführend statt ergebnisoffen
Vom Tisch sei offenbar auch das Versprechen der SPD-Spitze, die Gespräche mit der Union "ergebnisoffen" zu führen. "Das war der Hebel, um die Zustimmung auf dem Parteitag im Dezember zu erreichen", erinnert Kühnert. Von der Möglichkeit, eine unionsgeführte Minderheitsregierung zu tolerieren, sei nicht mehr die Rede. Und das nur, weil die Union sich dem verweigere. "Ich hätte mir gewünscht, dass die SPD es der Union nicht so einfach macht, aus dem Ding rauszukommen."
Am Ende appelliert Kühnert an die Delegierten, spätestens beim Mitgliederentscheid gegen ein weiteres Regierungsbündnis mit der Union zu stimmen. Bei ihrer Entscheidung sollten sie nicht nur auf die Sondierung blicken. "Bitte berücksichtigt neben dem Text auch die Erfahrungen aus unserer gemeinsamen Arbeit mit der Union." Zu oft hätten CDU und CSU die SPD über den Tisch gezogen. "Die Vertrauensgrundlage ist beschädigt, eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich", schlussfolgert der Juso-Vorsitzende.