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Große Chance für die Wirtschaft

20. Mai 2003

- Jeder dritte Pole möchte sich am Wiederaufbau des Irak beteiligen

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Posen, 18.5.2003, WPROST, poln.

Wenn jemand vor sechs Monaten gesagt hätte, dass Polen neben Großbritannien zu den Staaten gehören würde, die von amerikanischen Politikern am meisten genannt werden, und dass es zu einem der bedeutendsten "Spieler in der internationalen Politik" aufsteigen würde, wäre er zum Psychiater geschickt worden. Jetzt ist dies jedoch eine unbestrittene Tatsache, obwohl dadurch die Deutschen, die Russen und die Franzosen irritiert sind. Dank seiner Präsenz im Irak kann Polen auf eine Wirtschaftsbelebung hoffen.

Die größten Chancen für eine wirtschaftliche Expansion im Irak haben nach Angaben des Wirtschaftsministeriums u. a. Baufirmen, Hersteller von Stahlkonstruktionen, Produzenten von Lampen, Reifen, Hygieneartikeln sowie Firmen, die medizinische Geräte und Medikamente herstellen, vor allem aber Firmen, die Lebensmittel produzieren. Beim Wiederaufbau des Iraks könnten sogar etwa 25 000 Polen eine Beschäftigung finden.

Zusätzlich werden dort auch etwa 10 000 Soldaten innerhalb der nächsten Jahre eingesetzt. Sie alle werden sehr eng mit den Amerikanern zusammenarbeiten und darüber hinaus auch Zugang zu den neusten Technologien, den Errungenschaften im Management und der Arbeitsorganisation haben. Polen wird auf diese Weise auch einen Modernisierungsschub erleben, und dies kann zu einer Steigerung des Bruttoinlandprodukts führen.

"Die positiven Folgen werden wir schon im dritten oder im viertem Quartal d. J. spüren. Beim Wiederaufbau des Iraks können wir zwei bis drei Milliarden Dollar verdienen", sagt Krzysztof Rybinski, Hauptwirtschaftsexperte der Polnischen Handelsbank BPH PBK. (...)

"Obwohl ich zur Hälfte Italiener und zur Hälfte Pole bin, bin ich jetzt auf meine polnische Hälfte stolzer", sagt Jas Gawronski, Abgeordneter des italienischen Parlaments. Seiner Meinung nach hat Polen sowohl mit Mut als auch mit Visionen gehandelt und dies wird die Position Polens auf der internationalen Bühne stärken. (...)

"Meine Freunde sagen, dass sie den Soldaten der Eliteeinheit GROM nicht als Gegner begegnen wollen. Jetzt kennen wahrscheinlich alle Amerikaner den Namen dieser Einheit, sogar in Alaska", sagt Philip Steel, amerikanischer Dozent an der Warschauer Universität. Dies bestätigt die Ansichten von Vitorino Matusa, der in der amerikanischen Zeitschrift "The Weekly Standard" einen Artikel der Sondereinheit GROM widmet und zu Anfang schreibt, dass niemand bisher vermutete, dass Polen über so gut geschulte und wirksame Spezialeinheiten verfügt. Der Einheit GROM wird eine herausragende Rolle bei der Eroberung und dem Halten der Hafenstadt Umm Kasar zugeschrieben, wodurch humanitäre Hilfe geleistet werden konnte. (...)

"Schon Anfang der neunziger Jahre haben wir uns mit Recht für die Allianz mit den Vereinigten Staaten entschieden und jetzt ernten wir die Früchte dieser damaligen Entscheidung", sagt Lech Walesa und fügt hinzu: "Ich überlege, wie weit wir jetzt sein könnten, wenn wir diese Wahl schon 1980 hätten treffen können, als es im Volk viel mehr Enthusiasmus gab, als es geschlossener als jetzt war." (...)

Sogar Gabriele Lesser, eine Kommentatorin "Der Tageszeitung", die für bissige Kommentare über Polen bekannt ist, erinnert daran, dass mehrere tausend irakische Ärzte, Tierärzte, Ingenieure, Chemiker und Pharmazeuten ihre Ausbildung in Polen absolvierten. Die gegenwärtigen Intellektuellen d. h. die Eliten des Iraks beherrschen die polnische Sprache sehr gut. Dies bedeutet, dass die Polen quasi dazu verurteilt sind, eine herausragende Rolle im Nachkriegs-Irak zu spielen.

"Für die Iraker sind wir nach wie vor eine befreundete Nation. Wir haben also zwei Trümpfe in der Hand: Die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und andererseits das Wohlwollen der Bevölkerung, mit der wir beim Wiederaufbau des Iraks eng zusammenarbeiten müssen", sagt Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger Außenminister Polens.

Über 35 Prozent der Polen erklären, dass sie beim Wideraufbau und der Modernisierung des Irak mitwirken möchten. Dies geht aus Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts Pentor, die im Auftrag der Zeitschrift Wprost durchgeführt wurden, hervor.

(...)

Schon über 500 Firmen haben den Antrag gestellt, im Irak zu arbeiten. Sie stellen diese Anträge beim Wirtschaftsministerium, bei der Industrie- und Handelskammer oder bei der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID).

230 Firmen haben bereits die erste Auswahl der USAID überstanden und kamen auf die sogenannte Liste A. Zu Beginn gibt es 2,5 Milliarden Dollar zu verdienen und dann etwa 20 Milliarden US-Dollar jährlich, und dies vielleicht sogar für die nächsten zehn Jahre. (...)

In den siebziger und achtziger Jahren haben im Irak fast 100 000 Polen gearbeitet. Sie haben u. a. 150 km der Autobahn von Ar-Ramadi nach Bagdad und 200 km der Verkehrsstraße von An-Nasirijj nach Bagdad gebaut. Jetzt sind die beiden Verkehrsstraßen fast vollständig zerstört. Die größten Chancen für den Wideraufbau hat jetzt die Firma Budimex Dromex. 1991 hat das irakische Regime die Maschinen dieser Firma im Wert von 40 Millionen Dollar beschlagnahmt. (...).

"Bisher haben die polnischen Firmen oft internationale Ausschreibungen verloren und zwar schon zu Beginn, weil wir als ein exotischer und unsicherer Staat galten. Im Irak bietet sich die Chance zu zeigen, dass wir uns gut organisieren und konkrete Aufgaben erledigen können sowie dass wir fähig sind, mit Institutionen und Menschen aus dem Ausland zusammenzuarbeiten", erklärt Professor Marek Belka, ehemaliger Finanzminister. "Im Irak werden wir mit großen Firmen aus der ganzen Welt zusammenarbeiten und diese Kooperation könnte dann auf anderen Märkten fortgesetzt werden", fügt Janusz Steinhoff, ehemaliger Vizepremier und Wirtschaftminister in der Regierung von Jerzy Buzek hinzu.

Die ersten Polen, die in den Irak fahren, werden jedoch keine Firmenvertreter sondern polnische Soldaten (1 500) und Polizisten (über 500) sein. Bisher ist aber nur sicher, dass sich die Soldaten der Zehnten Logistik–Brigade aus Opole (Oppeln) an der Mission im Irak beteiligen werden. (...)

Die polnischen Polizisten werden im Rahmen der Internationalen Polizeikräfte eingesetzt. Sie wurden seit einigen Jahren für solche Missionen vorbereitet und in der Polizeischule in Szczytno geschult. Sie müssen Prüfungen in Englisch und Französisch bestehen sowie Fachkenntnisse auf dem Gebiet des internationalen Rechts nachweisen. Eine Gruppe polnischer Polizisten wird außerdem zur Zeit in Finnland geschult. (...)

Die Präsenz Polens im Irak ist nur eine der Chancen, unsere Wirtschaft anzukurbeln. Aber sogar die größten Errungenschaften im Irak können durch verantwortungslose Entscheidungen in Polen zunichte gemacht werden. Dann könnte sich jedoch dieser Enthusiasmus, der durch die jetzige internationale Anerkennung Polens bedingt ist, in eine noch intensivere Apathie verwandeln, die sogar noch größer sein kann als die, der wir zur Zeit entkommen wollen. (Sta)