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Griff in die politische "Mottenkiste"

Vladimir Müller20. August 2003

Im Bundesland Hamburg ist es in der Regierung zu einem Eklat gekommen: Der christdemokratische Landeschef Ole von Beust hat den rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill gefeuert. Vladimir Müller kommentiert.

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Es ist der Stoff, mit dem früher in Deutschland Karrieren zerstört werden konnten: Wurde über einen Menschen verbreitet, er sei homosexuell, war nicht nur seine Reputation, sondern häufig auch seine bürgerliche Existenz vernichtet. Homosexualität war in Deutschland gesellschaftlich geächtet und bis Ende der 1960er Jahre mit Gefängnis bestraft. Um so leichter wurden dann gerade Schwule zur Beute von Erpressungen.

Geschichte mit "Mottenwert"

Dass aber jemand in Deutschland noch heute auf die Idee kommt, diesen erpresserischen Weg zu gehen, mutet seltsam archaisch an. Dass es in dieser Welt Männer gibt, die Männer lieben - das hat inzwischen auch der Gesetzgeber anerkannt: Seit über zwei Jahren gibt es in Deutschland die Möglichkeit, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften einzugehen. Es gibt keine politische Partei, die nicht ihre eigene Schwulen-Gruppe hätte. Aber natürlich gibt es noch Vorurteile. Als gesellschaftliches Stigma gilt aber Homosexualität in Deutschland auf keinen Fall mehr.

Es ist geradezu grotesk, dass der nun geschasste Hamburger Innensenator Ronald Schill allem Anschein nach versucht hat, in diese "Mottenkiste" zu greifen und sich als Erpresser aufzuführen: "Wenn du meinen Stellvertreter entlässt, werde ich öffentlich machen, dass du homosexuell bist und mit dem Justizsenator ins Bett gehst" - so ähnlich muss Schill in einem Vier-Augen-Gespräch seinem Chef, dem Hamburger Landes-Chef Ole von Beust, gedroht haben. Falsch und ungeheuerlich, reagierte von Beust und entließ flugs den Innensenator zusammen mit seinem Spezi. Ja, er sei mit dem Justizsenator seit vielen Jahren befreundet, dieser zahle auch Miete für eine Wohnung, die ihm, dem Bürgermeister gehört. Aber eine homosexuelle Beziehung habe zwischen ihnen nie bestanden. Ende der Aussage.

Verletzende Art

Was nun? Die sexuelle Orientierung eines Menschen - auch die eines Politikers - gehört zu seiner Privatsphäre, die niemanden etwas angeht. Es ist in diesem Zusammenhang für die öffentliche Meinung in Deutschland bezeichnend, dass sich sogar ein hoher Kleriker klar auf die Seite des Hamburger Bürgermeisters stellt, um deutlich zu machen: Hier wurde auf unzulässige Weise eben diese Privatsphäre verletzt. Aktiv wurde aber auch die Justiz: Der Generalbundesanwalt prüft ein Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Innensenator Schill - wegen Nötigung eines Verfassungsorgans.

So könnte "Richter Gnadenlos" - wie Schill wegen seiner extremen Urteile als Amtsrichter genannt wurde - doch erreichen, was eigentlich nicht zum Gegenstand öffentlicher Diskussion steht: Wühlen in der Privatsphäre. Denn sollte ein Ermittlungsverfahren eröffnet werden, stünde die Frage im Mittelpunkt: Hat der Bürgermeister tatsächlich Privates mit Politischem vermischt, wie Schill behauptet? Damit verbunden dann auch die Frage nach der sexuellen Orientierung des Hamburger Bürgermeisters - und natürlich auch sein angebliches Verhältnis zum Justizsenator.

Eine bizarre Geschichte. Ihr Ende steht trotz aller Dementis noch offen. Nur der Ruf der Stadt Hamburg hat etwas gelitten: Zwei Jahre hat sie sich einen Innensenator geleistet, der nicht bei Sinnen ist. Und sie leistet sich einen Bürgermeister, der nicht Mann genug ist, schon beim Amtsantritt das zu erklären, was sein Berliner Kollege, Klaus Wowereit seinen Wählern mitgeteilt hatte: "Ich bin schwul." Es ist gut, dass er das gesagt hat. Denn seit dieser Erklärung ist Wowereits Homosexualität kein Thema mehr. Warum auch? Die Privatsphäre geht doch niemand etwas an.