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Politik

Novartis-Skandal: Griechen am Pranger

Jannis Papadimitriou
20. Februar 2018

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll Korruptionsvorwürfe gegen den Schweizer Pharmakonzern Novartis klären. Kritiker vermuten ein Ablenkungsmanöver der Athener Regierung.

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Symbolbild Medikamente Pillen
Bild: Colourbox

Gewichtige Worte vom stellvertretenden Justizminister Dimitris Papangelopoulos: Der Korruptionsskandal um Novartis sei "der größte Skandal seit der Gründung des griechischen Staates", erklärt der ehemalige Staatsanwalt. Für seinen Kabinettskollegen Pavlos Polakis steht fest, dass die korrupten Praktiken des Pharmakonzerns zur Schuldenkrise in Griechenland beigetragen hätten. Linkspremier Alexis Tsipras will einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, am Mittwoch stimmt das Parlament in Athen darüber ab. Im Fadenkreuz der Ermittlungen stehen sämtliche politische Gegner von Tsipras, unter ihnen sein Amtsvorgänger Antonis Samaras, EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos, Zentralbankchef Yannis Stournaras, der ehemalige sozialdemokratische Finanzminister Evangelos Venizelos und mehrere Ex-Minister. Angeprangert wird nicht zuletzt der einstige stellvertretende Gesundheitsminister Marios Salmas, obwohl er im Jahr 2012 selbst auf "unlautere Geschäftspraktiken" der Pharmaindustrie hingewiesen hatte. 

Den Vorwürfen zufolge soll Novartis zwischen 2006 und 2015 in den Genuss lukrativer Verträge mit staatlichen Kliniken und überteuerten Medikamentenpreisen in Griechenland gekommen sein. Dafür habe die gesamte politische Elite angeblich Schmiergelder bekommen - bis auf die Linkspartei Syriza, die ja erst seit 2015 regiert. Der künftige Untersuchungsausschuss soll klären, ob Anhaltspunkte für eine Anklageerhebung gegen die betroffenen Politiker vorliegen. Diese weisen jede Verantwortung von sich und sprechen von einer Intrige. Ex-Regierungschef Samaras verklagt Tsipras wegen Verleumdung. In der griechischen Öffentlichkeit ist das Staunen genauso groß wie das Unverständnis darüber, warum die Beweislage immer noch dünn erscheint, obwohl die Justiz seit Ende 2016 den Korruptionsvorwürfen nachgeht. Schon im Januar 2017 forderte der Wirtschaftsstaatsanwalt Panagiotis Athanassiou, dass der Fall aufgeklärt wird. Nach den damaligen Presseberichten sollen mindestens 4.000 Ärzte, Beamte und Politiker in Griechenland Schmiergelder oder andere vermögenswerte Vorteile erhalten haben, damit Medikamente von Novartis bei staatlichen Kliniken und Privatpatienten den Vorzug erhalten. Noch ist nichts bewiesen. 

Porträt Alexis Tsipras
Linkspremier Tsipras: Seine politischen Gegner stehen im Zentrum der Ermittlungen im Novartis-SkandalBild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Ein wahrer Kern?         

Doch einiges macht stutzig: Längst kritisiert die EU-Kommission die überdurchschnittlich hohen Ausgaben Griechenlands im Gesundheitswesen. Unbestritten ist zudem die mangelnde Transparenz bei den Finanzen staatlicher Kliniken, die in der Regel von Vertrauten der jeweiligen Regierung geleitet werden. Die Vermutung ist naheliegend, dass eine Politisierung des Gesundheitssystems unlautere Geschäftspraktiken begünstigt. An klaren Beweisen mangelt es noch. Dennoch glaubt die Athener Anwältin Konstantina Fundea, die mehrere Mitarbeiter von Novartis juristisch berät, dass die Korruptionsvorwürfe einen wahren Kern haben. Im Gespräch mit der DW berichtet sie über Mobbing gegen Mitarbeiter des Konzerns, die keine hohen Verkaufszahlen vorweisen konnten. Unter Druck seien angeblich auch Novartis-Mitarbeiter geraten, die bereit waren, bei den Ermittlungen auszusagen. Über eine mögliche Verwicklung von Politikern sei ihr nichts bekannt, sagt Fundea. Doch sie berichtet, dass viele Ärzte in Griechenland in die unlauteren Praktiken der Pharmaindustrie verstrickt seien: "Vor allem Diabetikern und Augenpatienten werden teure Arzneimittel verschrieben, auch wenn ein günstigeres Medikament zur Verfügung steht und genauso wirksam wäre." 

Der Konzern Novartis verspricht, mit den griechischen Behörden bei der Aufklärung der Vorwürfe zu kooperieren. Konstantinos Frouzis, ehemaliger Vizechef der griechischen Novartis-Tochter, zeigt sich überrascht über die Korruptionsvorwürfe, die auch ihn persönlich betreffen: Keinem Politiker habe er jemals Geld zukommen lassen, beteuert er im Interview mit der Zeitung Kathimerini. Zudem wundert er sich, dass ihn die Ermittlungsbehörden nicht vorgeladen haben. "Ich bin sicher, dass ich dazu beitragen kann, wichtige Aspekte dieser Angelegenheit zu beleuchten", sagt der Pharma-Manager. Belastet wird Frouzis durch die Aussage eines Zeugen, der unter dem Schutz der Justiz steht und anonym bleibt. "Es ist mit unbegreiflich, dass meine Ehre, mein Ansehen, mein Privat- und Berufsleben durch Falschaussagen vermummter Personen in Gefahr geraten", empört sich der Geschäftsmann.

Ablenkung vom "Mazedonien-Streit"

Nach der Ankündigung von Premier Tsipras, er werde eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Novartis-Affäre anordnen, droht die konservative Opposition, sie wolle ihrerseits eine Untersuchungskommission zu einer umstrittenen Waffenlieferung von Verteidigungsminister Panos Kamenos nach Saudi-Arabien einrichten. Versinkt die Athener Politik in skandalumwitterten Intrigen? Jorgos Tzogopoulos, Mitarbeiter des Athener Think-Tanks ELIAMEP, plädiert für eine nüchterne und differenzierte Betrachtung. "Ich glaube durchaus, dass Tsipras die Novartis-Affäre vor allem deshalb hochspielt, um von anderen Problemen abzulenken - insbesondere vom Namensstreit um Mazedonien", sagt Tzogopoulos im Gespräch mit der DW. "Aber das ändert nichts daran, dass der eine oder andere Vorwurf möglicherweise einen wahren Kern hat." 

Eine schnelle Aufklärung ist nicht zu erwarten. Jedenfalls nicht vor der nächsten Wahl, die spätestens 2019 ansteht. Und das ist wohl auch das Problem. "Die Menschen in diesem Land wollen die Wahrheit erfahren. Gegenseitige Vorwürfe, Andeutungen und Spekulationen haben wir satt", kritisiert der Politikwissenschaftler.