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"Griechenland muss Strategie überarbeiten"

Ralf Bosen8. Mai 2012

Die Wahlentscheidungen in Frankreich und Griechenland haben Auswirkungen auf andere Länder der Eurozone, sagt Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff im Interview mit der Deutschen Welle.

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Alexander Graf Lambsdorff
Alexander Graf LambsdorffBild: CCK/Markus Sepperer

Deutsche Welle: Herr Graf Lambsdorff, Frankreichs neuer Präsident Hollande will den strikten Sparkurs in der Euro-Zone lockern und in Griechenland sind die beiden Parteien der Übergangsregierung für ihren Sparkurs mit drastischen Stimmenverlusten bestraft worden. Muss sich die Europäische Union jetzt Sorgen machen?

Alexander Graf Lambsdorff: In der Europäischen Union muss man sich wirklich Sorgen machen, wenn es nicht gelingt, den Wandel zu schaffen: von einer Kultur der exzessiven Staatsverschuldung hin zu einer Kultur der ausgeglichenen Haushalte - das, was wir als Stabilitätskultur bezeichnen. Unverantwortliche Finanzpolitik hat uns in die Krise hineingeführt. Wir kommen nur mit einer Stabilitätskultur wieder aus der Krise heraus. Ich bin bei Francoise Hollande ganz optimistisch, dass er bei einer Prüfung der Zahlen und Fakten auch zu dieser Erkenntnis gelangen wird. Ich bin nicht ganz so optimistisch, was die Situation in Griechenland betrifft.

Angela Merkel ist eine Verfechterin eines strikten Sparkurses in der Euro-Zone. Inwieweit bringen die Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene in Bedrängnis?

Ich glaube, es ist keine Bedrängnis, in der sich die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin befinden. Aber es ist schon notwenig, noch mal zu erklären, wie wichtig die Stabilitätskultur ist, die wir von Deutschland aus versuchen für Europa praktikabel zu machen. Ich bin ganz sicher, dass der Dialog mit Francoise Hollande, sehr eng und sehr vertrauensvoll sein wird. Es hat ja am Sonntag (06.05.2012) schon ein Telefonat von Hollande mit der Bundeskanzlerin gegeben. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass dieser Dialog dann fortgeführt werden muss mit den anderen Ländern in der Europäischen Union, die der Meinung sind, man könne die alte Politik der exzessiven Staatsverschuldung fortsetzen. Das wird sicher nicht gehen.

Francois Hollande breitet jubelnd seine Arme aus. (Foto: AP/dapd)
Strahlender Sieger: Francois HollandeBild: dapd

Sie haben einen ersten Dialog zwischen Hollande und Merkel angesprochen. Nun hatte sich Merkel relativ offen für den bisherigen Präsidenten Sarkozy ausgesprochen. Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach auf das bilaterale Verhältnis aus - auch im Bezug auf die EU?

Also das ist etwas, das ich als Abgeordneter im Europäischen Parlament nicht kritisiere, sondern ich begrüße es geradezu, dass wir über Ländergrenzen hinweg klar machen, dass es bestimmte politische Verwandtschaftsverhältnissse gibt. So sind die Konservativen untereinander in einer europäischen Partei verbunden, der europäischen Volkspartei. Das gleiche gilt für die Sozialdemokraten und für die Liberalen. Es ist schön, wenn man sich bei Wahlkämpfen hilft und gegenseitig unterstützt. Übrigens hat das ja auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel in einem gemeinsamen Interview mit Herrn Hollande in der Süddeutschen Zeitung getan. Das war aber vor der Wahl. Nach der Wahl ist die Entscheidung, die das jeweilige Land getroffen hat, zu respektieren und man wird zu einer konstruktiven Zusammenarbeit überzugehen haben. Das ist gar nicht so anders als im Inland, wo man im Wahlkampf gegeneinander antritt und anschließend in Koalitionsverhandlungen schaut, welche Gemeinsamkeiten es gibt und gemeinsame Ziele definiert.

Lassen Sie uns über das Wahlergebnis in Griechenland reden. Ist das nicht auch für die EU eine Ohrfeige? Offenbar wollen die Griechen nicht zu den Bedingungen der EU und der internationalen Geldgeber gerettet werden, weil sie die Sparmaßnahmen als zu harsch und als Einmischung von außen empfinden. Sollte die EU also ihre Griechenlandstrategie überarbeiten?

Nein. Ich glaube, entscheidend ist, dass die Griechen ihre Griechenlandstrategie überarbeiten. Denn der Absturz dieses stolzen Landes - in den wirtschaftlichen Zahlen, in der öffentlichen finanziellen Situation - ist eine dramatische Entwicklung. Der soziale Friede ist gefährdet, der soziale Zusammenhalt im Land steht unter starkem Stress. Ich glaube, dass es das ist, was die Griechen in dieser Wahl ausgedrückt haben. Und eines ist klar: Wenn es keine Ernsthaftigkeit gibt im griechischen System, in der griechischen Elite, das Land wirklich auf Vordermann bringen zu wollen, dann kann es nicht Aufgabe der Europäischen Union sein, das Land auf Dauer zu alimentieren. Natürlich muss es Solidarität geben und die gibt es auch. Es hat schon große Milliarden-Kredite gegeben. Aber der Kurs der Konsolidierung muss weiter gefahren werden und es kann nicht sein, dass man darauf hofft, dass die Europäische Union jetzt nachsichtiger oder nachlässiger wird. Das wird sicher nicht der Fall sein.

Mitglieder der radikalen Linken auf einer Wahlveranstaltung (Foto:AP/dapd)
Griechenlands radikale Linke profitieren von der Wut über das SparpaketBild: dapd

Und um diese Ernsthaftigkeit herzustellen, sehen Sie also die nationale Regierung in Athen in der Verantwortung. Weniger die EU?

Ganz klar. Natürlich haben die Griechen insbesondere betont, dass alle Entscheidungen vom griechischen Parlament zu verabschieden sind. Das war auch in der Vergangenheit so. Man hat Griechenland ja nichts aufgezwungen, sondern alle Entscheidungen sind vom dortigen Parlament mit Mehrheit verabschiedet worden. Die wirklich entscheidende Frage wird sein, wie jetzt in Griechenland eine Regierung gebildet wird. Denn der Absturz der Konservativen und der Sozialisten und das Erstarken der Randparteien, macht natürlich eine Regierungsbildung in Athen erheblich komplizierter. Wenn die Regierungsbildung abgeschlossen ist, wenn also die Mehrheitsverhältnisse im Parlament und in der Regierung klar sind, dann wird das Land weiter auf einem Konsolidierungskurs fahren müssen. Es hat gar keine Alternative, denn die Situation ist tatsächlich dramatisch.

Herr Graf Lambsdorff, angesichts des Interesses an den Wahlen in Frankreich und Griechenland und der damit verbundenen umfangreichen Berichterstattung, drängt sich der Eindruck auf, dass nationale Wahlen an europäischer Bedeutung gewonnen haben. Sie werden von anderen Euro-Mitgliedsstaaten genauer und interessierter verfolgt, weil sie Rückwirkungen auf den Fortgang der Euro-Krise und damit auf das Wohlergehen des eigenen Landes haben. Ist damit in den vergangenen Wochen das europäische Bewusstsein, beziehungsweise die europäische Öffentlichkeit gestärkt worden?

Sie haben völlig Recht. Genau das ist der Fall. Dies ist natürlich durch die Staatsschuldenkrise in der gemeinsamen Währungsunion ausgelöst worden, die alle Länder noch enger miteinander verbindet als das vorher der Fall war. Von daher haben solche Wahlentscheidungen in EU-Mitgliedsländern - insbesondere der Euro-Zone, und bei Griechenland und Frankreich handelt es sich um zwei Länder der Euro-Zone - eben auch Auswirkungen auf andere Länder. Seien das die Niederlande, sei das Finnland, sei das die Slowakei oder sei das die Bundesrepublik Deutschland. Das größere Interesse ist von daher logisch. Es ist auch richtig. Natürlich soll man sich nicht über die Krise freuen. Aber über das gestiegene Interesse und das Erkennen der gegenseitigen Verflechtung und Abhängigkeit kann man sich als engagierter Europäer durchaus auch mal freuen.

Alexander Graf Lambsdorff ist der außenpolitische Sprecher der Fraktion der 'Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa' (ALDE) im Europäischen Parlament.