1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hilfe für Kos versprochen

Bernd Riegert, Kos4. September 2015

Schockiert vom Tod zweier Kleinkinder im Meer zwischen der Türkei und Kos haben EU-Politiker die Insel besucht. Die Lage der Flüchtlinge muss dringend verbessert werden, so die EU-Kommissare. Aus Kos Bernd Riegert.

https://p.dw.com/p/1GRDV
Griechenland, Kos: Flüchtlinge mit Wasserflasche (Foto: DW/B. Riegert)
Kostbar: Wasserflaschen im FlüchtlingscampBild: DW/B. Riegert

Die Sonne steht hoch über Kos, der griechischen Ferieninsel nur knapp vier Kilometer vom türkischen Festland entfernt. Bei 35 Grad im Schatten haben Hunderte Flüchtlinge Durst. Seit Stunden warten sie vor der Polizeistation am Hafen.

Kos - Anstehen für die Registrierung bei der Polizei

Die Mitarbeiter der privaten niederländischen Organisation Boat Refugee Foundation verteilen kleine Wasserflaschen an die Menschen. Sofort bilden sich große Menschentrauben um die Helfer. Es wird gedrängelt, geschupst, aber mit zwei, drei energischen Sätzen entspannt einer der Mitarbeiter die Lage.

Es ist nie genug da für alle. Bei der Versorgung mit dem Nötigsten sind die Flüchtlinge auf Spenden angewiesen. Es gibt weder Toiletten noch Waschgelegenheiten, nur zwei abgesägte Wasserleitungen, die irgendwo aus dem Boden gegraben wurden. "Die Zustände sind unmenschlich", stellt der EU-Kommissar für Flüchtlingsfragen, Dimitris Avramopoulos, bei seiner kurzen Visite auf Kos fest. Das soll sich nach dem Willen der Delegation aus Brüssel ändern - Avramopoulos und Frans Timmermanns, Vizepräsident der EU-Kommission, sind an diesem Freitag für einen halben Tag nach Kos gekommen, sozusagen an die Frontlinie der Flüchtlingskrise.

Griechenland, Kos: PK zu Migration/ Flüchtlinge, Timmermans und Avramopoulos (Foto: DW/B. Riegert)
Dienstreise zum Elend: EU-Kommissare Avramopoulos (li.) und Timmermans (re.)Bild: DW/B. Riegert

"Geld ist genug da"

Die EU-Kommissare reden dem Bürgermeister ins Gewissen. Giorgos Kyritsis wollte bislang keinerlei Erstaufnahmeeinrichtung auf Kos haben. Er fürchtet, dass Flüchtlinge auf Dauer die Touristen von seiner malerischen Insel vergraulen könnten. Vielleicht kann bald eine alte Militärbasis zu einem funktionierenden Lager ausgebaut werden. Geld wäre genug da. Die EU hat bis 450 Millionen Euro allein für die Flüchtlingshilfe in Griechenland im Etat.

Doch erst jetzt, nachdem die Links-Rechts-Koalition in Athen einer Übergangsregierung Platz gemacht hat, ist der erste ordentliche Antrag auf Hilfe bei der EU eingegangen. "Wir können hoffentlich bald die ersten 30 Millionen auszahlen", kündigt Kommissar Avramopoulos an, der selbst früher Minister in Griechenland war und die Schludrigkeit der Behörden kennen dürfte.

Am Abend vor dem Besuch aus Brüssel haben die Neonazis der Goldenen Morgenröte vor der Polizeistation Flüchtlinge angegriffen und verprügelt. "Es gibt Spannungen und kleinere Vorfälle", sagt Dimitris Avromoupolos. "Die Spannungen sind vom Bürgermeister von Kos gewollt", glaubt Lora Pappa von der Hilfsorganisation Metadrasi. Die ganze Registrierungsprozedur sei nur schleppend organisiert, um Flüchtlinge abzuschrecken, erklärt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Griechenland, Kos: Hazin Mahmud, IT-Spezialist aus Syrien, Flüchtling (Foto: DW/B. Riegert)
Aus Syrien geflohen: IT-Spezialist Hazin MahmudBild: DW/B. Riegert

"Chaotische Zustände"

Auf das Papier zur Regstrierung und die Abnahme der Fingerabdrücke durch die Polizei warte er nun seit zehn Tagen, klagt der syrische IT-Ingenieur Hazin Mahmud. "Es ist alles total chaotisch und desorganisiert. Außerdem schlägt uns die Polizei und setzt Trängengas ein", behauptet er.

Die Europäische Union greift den Behörden auf Kos jetzt unter die Arme und will das Verfahren beschleunigen, damit die Flüchtlinge möglichst schnell mit Fähren von Kos nach Piräus gebracht werden können. Dort soll dann ein sogenannter Hotspot für eine schnelle Entscheidung über Asylanträge und eine mögliche Weiterverteilung der Flüchtlinge entscheiden. Bis jetzt steht dieser Hotspot, in dem griechische Behörden und EU-Agenturen für Asyl und Grenzschutz zusammenarbeiten sollen, nur auf dem Papier. "Es gibt eine Arbeitsgruppe", bestätigt eine Mitarbeiterin der Frontex-Grenzschutzagentur der DW.

Das Meer als Latrine

Im improvisierten Lager von Kos direkt an der Uferstraße spielen die Kinder der Flüchtlinge mit Straßenhunden. Neugierige Touristen knipsen ein paar Fotos. Die Kinder gehen zum Baden ins Meer. Das ist ihre einzige Möglichkeit, sich zu waschen und abzukühlen.

Flüchtlinge waschen sich im Meer auf Kos

"Das Problem ist aber, dass das Meer von Erwachsenen und Kindern auch als riesige Toilette benutzt wird", erklärt Hannah Pool. Die deutsche Studentin arbeitet in ihrem Urlaub freiwillig als Übersetzerin für Farsi. Die Frauen hätten ihr erzählt, dass die Zustände im Lager einfach unhaltbar und gefährlich für die Gesundheit gerade der kleinen Kinder seien. "Auch nach Wochen der Krise hat die Stadtverwaltung nichts unternommen. Im Gegenteil, die wenigen öffentlichen Toiletten hat sie sogar noch geschlossen."

"Stunde der Wahrheit"

EU-Kommissionsvizepräsident Timmermans verspricht: "Wir lassen Kos nicht alleine." Er mache sich große Sorgen um das Asylsystem der Europäischen Union, sagte er der Deutschen Welle. "Das System ist noch nicht gescheitert, aber es funktioniert nicht richtig." Es brauche den Willen aller Regierungen der Mitgliedsstaaten, um die Verhältnisse zu verändern und den Andrang der Flüchtlinge besser zu managen. "Wir erleben hier eine Stunde der Wahrheit in der gesamten europäischen Geschichte", so Timmermans.

Flüchtlinge kampieren auf Kos

Die Flüchtlinge haben die EU-Kommissare allerdings nur kurz und aus dem vorbeifahrenden Auto gesehen. Für Gespräche mit den Durstenden, Wartenden, Frustrierten war keine Zeit. Der Flieger zurück nach Brüssel wartete.

Start einer langen Odyssee

Für den syrischen Flüchtling Hazin Mahmud steht fest, dass er das Lager auf Kos ertragen wird. Es gibt kein Zurück ins Kriegsgebiet. "Ich will nach Deutschland, weil ich dort arbeiten kann", sagt er und zeigt stolz seinen Mitarbeiterausweis der Universität Damaskus. Hazin Mahmud ist klar, dass Kos erst der Anfang einer gefährlichen Reise ist, die ihn durch Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich vielleicht irgendwann nach Deutschland führen wird. Erst dort will er einen Asylantrag stellen. "Ich bin zurzeit obdachlos, aber das wird sich ändern", glaubt er.

Die Mitarbeiter der EU-Kommission steigen in Athen wieder in einen Linienjet um und sind bald in Brüssel. Für diese Strecke wird Hazin Mahmud Wochen und viele Tausend Euro für Schlepper brauchen. Die EU-Delegation braucht für die Strecke drei Stunden. "Das ist schon ein komisches Gefühl", meint eine der Mitreisenden.