1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Griechen rütteln an Sparauflagen

Jannis Papadimitriou9. September 2015

Im Wahlkampf haben griechische Politiker die Bedingungen der jüngsten Kreditvereinbarung in Frage gestellt. Tatsächlich gibt es die Möglichkeit, Ersatzmaßnahmen zu verabschieden. Das Geschacher geht schon wieder los.

https://p.dw.com/p/1GTd6
Griechische Ein-Euro-Münze in einer Asphaltritze (Foto: picture alliance/chromorange)
Bild: picture alliance/chromorange

Entschlossen zeigte sich Ex-Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seinem jüngsten Auftritt im nordgriechischen Thessaloniki: Der "Kampf" mit den Geldgebern um Verbesserungen der Mitte August verabschiedeten Kreditvereinbarung sei noch offen. Er würde sich insbesondere für eine Umstrukturierung der griechischen Schulden einsetzen, erklärte der Linkspolitiker. Auf seiner Agenda stünden nicht zuletzt der Schutz von Bankgläubigern und Arbeitnehmern sowie die optimale Verwertung des staatlichen Vermögens, das nicht "ausverkauft" werden dürfe.

Auch der konservative Oppositionschef Evangelos Meimarakis präsentiert sich im Vorfeld der Parlamentswahl am 20. September kämpferisch: Seine Regierung werde keine Steuererhöhungen für Landwirte in Kraft setzen, sondern ihre eigenen Alternativvorschläge vorlegen, erklärte er im TV-Interview Anfang September.

Zur Erinnerung: Am 15. August hatte das Parlament in Athen eine neue Kreditvereinbarung mit den Geldgebern genehmigt. Griechenland soll neue Kredite in Gesamthöhe von bis zu 86 Milliarden Euro erhalten und erklärt sich im Gegenzug zu weiteren Reformmaßnahmen bereit. Dazu gehören die Gründung eines neuen Privatisierungsfonds, die Rekapitalisierung griechischer Banken sowie Steuererhöhungen für Landwirte.

Abstimmung zu den Sparauflagen im griechischen Parlament (Foto: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki)
Erst am 15. August hatte das Parlament in Athen die Sparauflagen der Geldgeber genehmigtBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Alles nur Schnee von gestern? "Das nicht, aber man darf nicht vergessen, dass der Wahlkampf auf vollen Touren läuft", meint Thanos Dokos, Leiter des Athener Think Tanks ELIAMEP, im Gespräch mit der DW. Vor allem die abgetretene Regierung von Alexis Tsipras setze auf die absolute Mehrheit und verspreche nun, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, erläutert der Politikwissenschaftler. Dabei zeigten alle Umfragen, dass die absolute Mehrheit in weiter Ferne sei. "Am Tag nach der Wahl müssen alle Akteure mehr Verantwortung an den Tag legen. Dazu gehört möglicherweise auch, dass sie sich zur Zusammenarbeit verpflichten", erläutert Dokos.

Die Zauberformel der "gleichwertigen Ersatzmaßnahmen"

Bei allen Wahlkampfallüren - völlig abwegig sei die Debatte um eine Änderung der Kreditvereinbarung nicht, glaubt Politikwissenschaftler Dokos: "Schon zu Beginn dieser Verhandlung war klar, dass die Geldgeber bereit sind, Ersatzmaßnahmen gleicher Wirkung zu prüfen, sollte der eine oder andere Sparvorschlag in Athen abgelehnt werden."

Im Klartext: Sollte die griechische Regierung etwa eine von den Geldgebern vorgeschlagene Steuererhöhung ablehnen, müsste sie eine Ersatzmaßnahme vorschlagen, die genauso viel Geld in die Staatskasse bringt.

Die Prüfung einer Ersatzmaßnahme würde umso wohlwollender ausfallen, je besser die Athener Regierung alle sonstigen Reformen umsetzt und je schneller sie Fortschritte in Richtung des angestrebten Wachstums erzielt, sagt ELIAMEP-Chef Dokos. Also gäbe es durchaus Möglichkeiten, Einzelmaßnahmen zu modifizieren, ohne allerdings das Gesamtkonzept des Sparprogramms in Frage zu stellen.

Genau darauf zielt auch Wahlkämpfer Tsipras ab, glaubt der Politjournalist Christos Zervas. Die neue Kreditvereinbarung eröffne Möglichkeiten für Änderungen und Verbesserungen - vorausgesetzt, die Regierung in Athen könne plausible Alternativvorschläge vorlegen, erklärt Zervas im TV-Sender Skai. "Der Plan von Tsipras sieht vor, die Sparauflagen sozialverträglich zu gestalten. Das Memorandum der Sparauflagen bedeutet nicht das Ende jeder Politik. Wenn dem so wäre, hätte es schließlich keinen Sinn mehr, Wahlen abzuhalten", sagt Analyst Zervas.

Streitfall Privatschulen

Wie schwierig die Abwägung aller Interessen und die Umsetzung von "Ersatzmaßnahmen" sind, zeigt der aktuelle Streit um die Besteuerung griechischer Privatschulen mit 23 Prozent Mehrwertsteuer, die erst im letzten Moment in den "Katalog der Grausamkeiten" rutschte.

Für Tsipras könnte das Timing dafür nicht ungünstiger sein: Am 11.September beginnt in Hellas die Schule, neun Tage später wird gewählt. Kommentatoren weisen darauf hin, dass 80.000 Kinder Privatschulen besuchen - nicht weil ihre Eltern reich sind, sondern weil sie mit den öffentlichen Schulen in Griechenland nicht zufrieden sind.

Außenansicht des Finanzministeriums in Athen (Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU)
Im griechischen Finanzministerium sucht man nach Möglichkeiten, die Sparauflagen gerecht zu verteilenBild: picture-alliance/dpa

Die Opposition wirft der Linkspartei Syriza ideologische Verblendung vor und mahnt zudem, die Besteuerung von Bildungseinrichtungen würde gegen EU-Recht verstoßen. Zunächst hieß es bei Syriza, die Geldgeber hätten auf die Besteuerung von Privatschulen bestanden, was die EU-Kommission umgehend dementierte. Nun verspricht die Linkspartei, die unbeliebte Steuer auf Eis zu legen und nach der Wahl ganz abzuschaffen.

Noch ist unklar, woher die 250 Millionen Euro herkommen sollen, die nach ursprünglicher Planung aus der Besteuerung von Privatschulen eingenommen würden. Die Athener Industrie- und Handelskammer will eine breite Umschichtung der Steuerlast: Vor allem Umsatz- und Verbrauchsteuern sollen demnach sinken - ausgenommen die Tabaksteuer. Allein eine Steuererhöhung von 50 Cent mehr pro Schachtel Zigaretten brächte Mehreinnahmen in Höhe von 550 Millionen Euro jährlich, rechnet Kammer-Chef Konstantinos Michalos vor. Damit ist er in guter Gesellschaft: Auch der griechische Jungbauernverband plädiert für eine Erhöhung der Tabaksteuer - als "Ersatzmaßnahme" dafür, dass die geplanten Steuererhöhungen für die Landwirte zurückgenommen werden.