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Graffiti unter Denkmalschutz

Jan Schilling7. Mai 2012

Ein Meisterwerk aus der Spraydose: die Madonnen-Darstellung des französischen Künstlers Blek le Rat, vor mehr als 20 Jahren auf eine Leipziger Hauswand gesprüht. Nun soll sie konserviert werden.

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Graffiti von Blek le Rat in Leipzig (Foto: Sybille Metze-Prou)
Bild: Sybille Metze-Prou

Viele Jahre kommt Maxi Kretzschmar auf ihrem Schulweg an einer Madonnenfigur vorbei, die an eine Leipziger Hausfassade gesprüht worden war. Anfang der 1990er ist das kleine Mädchen fasziniert von diesem Graffito - aber mit den Jahren verschwindet es hinter Plakaten, und Maxi vergisst das Bild wieder. Als sie im Januar 2012 an eben diesem Haus vorbeigeht, hängen einige Poster zerfetzt herunter. Hinter den Überresten erkennt sie den Kopf der Madonnenfigur wieder. Ein anderer hätte das Graffito vermutlich übersehen, doch Maxi Kretzschmar ist inzwischen 28 Jahre alt und beschäftigt sich als Kulturmanagerin seit mehr als fünf Jahren beruflich mit Kunst, organisiert zum Beispiel ein internationales Urban-Art-Festival, das IBUg. Als sie vom Plakat noch ein paar Stücke herunterreißt, wird ihr schnell klar, dass sich dahinter nicht einfach nur eine "Schmiererei" verbirgt.

Vater des Schablonengraffiti

Bei der Madonnenfigur handelt es sich um die "Die Frau mit Kind" des französischen Künstlers Xavier Prou, alias Blek le Rat. Er gilt als Begründer des Stenciling, des Schablonengraffiti. Beim Stenciling werden - anders als bei Graffiti - die Kunstwerke nicht freihändig auf die Wände gesprüht, sondern mithilfe einer Schablone - englisch "stencil".

Maxi Kretzschmar (Foto: Jan Schilling)
Maxi Kretzschmar hängt an der MadonnaBild: Jan Schilling

1981 beginnt Blek Le Rat damit, Ratten auf Wände zu sprühen - lange bevor der britische Undercover-Künstler Banksy mit seinen ersten Ratten-Stencils auf sich aufmerksam macht. Für Le Rat sind seine Figuren Kommunikationswerkzeuge: "Wann immer ich sie auf die Wände malte, hatte ich das Gefühl, einen Teil von mir selbst in den Städten, die ich besuchte, zu hinterlassen." Nun ist ein Teil von ihm in Leipzig geblieben.

Ein Fall für den Denkmalschutz

Und dieser Teil steht inzwischen auf der Liste der sächsischen Denkmäler. "Das ist eine kleine Sensation", sagt Annekatrin Merrem vom Leipziger Amt für Denkmalschutz. Normalerweise beschäftigen sich Denkmalschützer mit abgeschlossenen Epochen - und die Entscheidungswege sind lang. Im Fall Blek Le Rat dauerte es nur drei Monate, bis sich die Denkmalschützer einigten: Hier handelt es sich nicht um Schmiererei, sondern um Kunst.

Madonna mit Kind wird durch Holzplatte geschützt (Foto: Jan Schilling)
Noch wird die Madonna durch eine Holzplatte geschütztBild: Maxi Kretzschmar

Dies allein reicht jedoch nicht, damit ein Objekt als schützenswert gilt. Der sogenannte Zeugniswert ist neben der künstlerischen Besonderheit entscheidend. "Die Leipziger Südvorstadt war voll mit Wandmalereien", erinnert sich Maxi Kretzschmar an die Nachwendezeit. "Leider ist davon kaum noch etwas übrig." Glück für Le Rats Madonna: "Als eines der letzten Zeugnisse der Nachwendezeit gilt das Bild jetzt als sehr schützenswert", erklärt Denkmalschützerin Merrem.

Geschichte vermischt mit Liebe

Die Leipziger Madonna erzählt aber nicht nur von Kunst und Nachwendezeit, sondern auch von einer großen Liebe: Anfang der 1990er wird Blek le Rat von der Universität Leipzig eingeladen, Bilder für das Seminargebäude zu malen. Er nutzt die Gelegenheit auch in der Stadt zu malen. "Das war eine Zeit, in der Graffiti noch nicht kriminalisiert wurden", erinnert sich Le Rat, damals Ende 30.

Die Madonna, die er dann auf einer Hauswand hinterlässt, widmet er seiner großen Liebe: einer Frau namens Sybille. Sie stammt aus der Gegend und lernt den Franzosen in Leipzig kennen. Aus der Bekanntschaft entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Inzwischen sind Sybille und Xavier Prou alias Blek Le Rat seit 20 Jahren verheiratet und haben einen 19-jährigen Sohn. "Es wäre schön, wenn wir das Graffito an diesem Platz erhalten könnten, denn es bedeutet Sybille und mir eine Menge", sagt der Künstler. Nirgendwo auf der ganzen Welt gebe es ältere Spuren seiner Kunst.

Ein Werk von Street Artist Banksy (Foto: Mahmut Hamsici / DW)
Inzwischen Objekt der Sammler-Begierde: Banksy-GraffitoBild: DW

Neuland für den Denkmalschutz

Mit der Frage, ab wann Graffiti als Kunst gelten, setzen sich auch die Experten in Aachen auseinander. Dort wurde 2011 ein Graffito des Künstlers Klaus Paier erhalten. "Geschützt wurde das 'Liebespaar' aus künstlerischen und stadtgeschichtlichen Gründen", sagt Denkmalpflegerin Monika Krücken. Von Paiers politischen Bildern seien heute nur noch wenige übrig. Grundsätzlich sei Graffiti zwar auch in Aachen ein kontrovers diskutiertes Thema. Doch wie schon in Leipzig, war man sich auch in der Stadt ganz im Westen Deutschlands schnell einig, dass es sich nicht nur um Schmiererei, sondern um Kunst handelt. "Sogar der Altbürgermeister hat sich damals für den Schutz des Graffito eingesetzt", erinnert sich Monika Krücken. Und noch wichtiger: Auch der Hausbesitzer hat zugestimmt. "Ohne seine Zustimmung wäre es schwer geworden, das 'Liebespaar' zu schützen", erklärt die Denkmalschützerin.

Graffito 'Das Liebespaar' von Klaus Paier (Foto: Regina Weinkauf)
Klaus Paiers LiebespaarBild: Regina Weinkauf

Auch in der Schweiz und in Großbritannien hat man Neuland betreten: In Zürich steht beispielsweise die "Undine" des Künstlers Harald Naegeli unter Denkmalschutz. In Bristol entschieden die Bürger per Volksentscheid, Banksys Bilder als Kunst anzuerkennen. Inzwischen steht auch fest, dass zerstörte Kunstwerke von Banksy restauriert werden sollen.

Ob nun Banksy, Paier oder le Rat: Ihre Werke sind Street Art, sie sind nicht für die Ewigkeit geschaffen. Aachen hatte Glück: Paiers Bild war in einem unglaublich guten Zustand. Das Graffito in Leipzig ist nicht mehr so gut erhalten. "Eine Herausforderung für Konservatoren, Denkmalschützer und Künstler", sagt die Leipziger Denkmalschützerin Merrem. Eine Mauer hinter Glas packen? Ein Graffito ausschneiden? Geht das? Wie kann Kunst, die als vergängliches Werk gedacht war, überhaupt restauriert und konserviert werden? In Leipzig ist dazu noch keine Entscheidung gefallen. Blek le Rat sagt lakonisch: "C'est la vie, es ist Graffiti."

Harald Naegeli vor seinem Graffito 'Undine' in Zürich (Foto: dpa)
Harald Naegeli und seine UndineBild: picture-alliance/dpa/dpaweb