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"Krieg der Propaganda" Folge 3: Großbritannien

Marc von Lüpke-Schwarz10. Juni 2014

Großbritannien war die letzte europäische Großmacht, die im August 1914 in den Ersten Weltkrieg eintrat. Kein Kriegsgegner wurde von der deutschen Propaganda stärker dämonisiert.

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Erster Weltkrieg Kriegspropaganda 1915
Bild: picture alliance/Imagno

Niedergeschlagen schaute der britische Außenminister Sir Edward Grey aus dem Fenster seines Büros. Es waren die Abendstunden des 3. August 1914. Als vor Greys Büro die Straßenlampen entzündet wurden, sprach der Minister prophetische Worte: "In ganz Europa gehen die Lichter aus. Wir werden es nicht mehr erleben, daß sie angezündet werden." Auf dem Kontinent hatte das Deutsche Reich Frankreich gerade den Krieg erklärt. Deutsche Truppen überschritten anschließend völkerrechtswidrig die Grenzen des neutralen Belgiens. Großbritannien stellte Deutschland daraufhin ein Ultimatum. Bis Mitternacht hatte Deutschland eine Erklärung abzugeben, die belgische Neutralität zu achten. Die Deutschen ließen das Ultimatum verstreichen – seit 12 Uhr nachts befanden sich die beiden Mächte deshalb im Krieg.

Kohlebriketts mit Propagandaformeln

Die Deutschen waren empört über den britischen Kriegseintritt. Bald machte eine neue Begrüßungsformel die Runde. "Gott strafe England" lautete der erste Teil, "er strafe es" antwortete die begrüßte Person. Göttlicher Zorn sollte demnach Großbritannien für seine Beteiligung am Krieg heimsuchen. Diese Losung fand sich auf vielerlei Propagandamaterial: auf Plakaten, Postkarten aber auch auf Alltagsgegenständen wie der oben abgebildeten Verschlussmarke in Form eines Artilleriegeschosses im Briefverkehr. Selbst Kohlebriketts, Eheringe, Tassen und Teller wurden damit versehen.

Und auch das bald weit verbreitete Gedicht "Haßgesang gegen England" des Dichters Ernst Lissauer stimmte die Deutschen auf den Kampf gegen Großbritannien ein: "Wir wollen nicht lassen von unserem Haß/ Wir haben alle nur einen Haß/ Wir lieben vereint, wir hassen vereint/ Wir alle haben nur einen Feind: ENGLAND!" Über die beiden anderen großen Kriegsgegner auf dem Kontinent heißt es dagegen: "Was schiert uns Russe und Franzos'?/ Schuß wider Schuß und Stoß um Stoß!/ Wir lieben sie nicht/ Wir hassen sie nicht". Der ewige Hass der Deutschen sollte den Engländern gelten.

Erster Weltkrieg Kriegspropaganda 1915
Die Feindschaft zwischen den beiden Nationen sollte über den Tod hinaus reichenBild: picture alliance/Imagno

Verschiebung der Machtverhältnisse

Mit dem britischen Kriegseintritt musste die deutsche Propaganda eilig ein Feindbild konstruieren, das für den französischen und russischen Kriegsgegner bereits seit Langem existierte. Mit beiden Staaten hatten die Deutschen in der Vergangenheit bereits mehrfach Krieg geführt – mit Großbritannien nicht. Im Gegenteil: Das Inselreich war Deutschlands wichtigster Handelspartner gewesen. Lange Zeit hatten zudem gemeinsame Interessen die britisch-deutsche Außenpolitik diktiert: Sowohl Großbritannien als auch einzelne deutsche Teilstaaten wie Preußen hatten stets versucht, französische Hegemoniebestrebungen einzudämmen.

Erster Weltkrieg Kriegspropaganda
Die britische Propaganda zielte vor allem auf die Rekrutierung Freiwilliger ab, erst 1916 führte Großbritannien die Wehrpflicht einBild: picture alliance/akg

Als 1871 mit dem //www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/kaiserreich/: Deutschen Kaiserreich allerdings eine neue Großmacht entstand, die wirtschaftlich und militärisch immer stärker wurde, erfuhr die bisherige britische Außenpolitik nach und nach eine Veränderung. Das jahrhundertealte Gleichgewicht auf dem Kontinent war durch die deutsche Einigung erschüttert worden. Schließlich begann Deutschland die britische Vormachtstellung auf See durch einen massiven Flottenbau herauszufordern. "Deutschland muss eine so starke Schlachtflotte besitzen, dass ein Krieg auch für den seemächtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden ist, dass seine eigene Machtstellung in Frage gestellt wird", fasste der deutsche Admiral Alfred von Tirpitz das Ziel zusammen – und meinte damit Großbritannien.

"Hunnen" gegen "Krämer"

1904 löste Großbritannien mit dem "Entente cordiale" genannten Abkommen seine kolonialen Konflikte mit Frankreich, 1907 schlossen sich beide Staaten mit Russland zur Triple Entente zusammen. Deutschlands Einkreisung war vollkommen. Als Großbritannien im August 1914 Deutschland den Krieg erklärte, war die Bestürzung in Deutschland groß. Als "Überfall" empfanden viele Deutsche den Kriegseintritt Englands. Und die Propaganda suchte nach – fadenscheinigen – Erklärungen, warum das einstige "germanische Brudervolk" die Deutschen "verriet".

Die Briten seien ein "Händlervolk", dass nur auf den eigenen Vorteil bedacht sei und den Deutschen ihren wachsenden Wohlstand neide, schrieb der Ökonom und Soziologe Werner Sombart in seinem populären Buch für die Frontsoldaten "Händler und Helden". Im Kampf England gegen Deutschland traten in dieser Logik nicht nur Staaten gegeneinander an. Auf der englischen Seite stände eine "krankhafte" individualistische "Krämermentalität", auf der deutschen "ein vaterländischer Opfermut", so Sombart.

Briten gegen Deutsche

Bereits am 7. August erreichten die ersten britischen Truppen Frankreich. Bald begannen die Kampfhandlungen mit den Deutschen. Die britische Propaganda impfte den Soldaten ein, die Deutschen seien "Hunnen" – unzivilisiert, brutal, kulturlos. Massaker an belgischen Zivilisten oder auch die Zerstörung der weltberühmten Universitätsstadt Löwen festigten den Ruf der Deutschen als barbarische Eroberer. Den Hunnenmythos hatte einst Kaiser Wilhelm II. in die Welt gesetzt, als er deutsche Truppen 1900 zur Niederschlagung des sogenannten //www.dhm.de/lemo/html/dokumente/wilhelm00/]:"Boxeraufstands" nach China entsandte: Wie die gefürchteten, barbarischen Hunnen sollten sich die deutschen Soldaten einen Namen machen. Nun schlug dieses Wort propagandistisch auf die Deutschen zurück – noch im Zweiten Weltkrieg verhöhnten die britischen Soldaten ihre deutschen Gegner als "the huns".

HMS Queen Elizabeth, Britisches Schlachtschiff
Das deutsch-britische Flottenwettrüsten verschlechterte die Beziehungen zwischen beiden LändernBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library