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Google will Medizin revolutionieren

Zulfikar Abbany / bo2. August 2016

Nervenmodulation statt Pillen - GlaxoSmithKline und Google investieren in die bioelektronische Medizin. Worum es dabei geht, was Google in der Medizinbranche sucht und ob wir uns Sorgen machen müssen, lesen Sie hier.

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Neurologische Prozesse im Gehirn Foto: Imago/All Canada Photos
Bild: Imago/All Canada Photos

So ganz neu ist die bioelektronische Medizin nicht: GlaxoSmithKline (GSK) arbeitet bereits seit dem Jahr 2012 daran. Der britische Pharmakonzern hat schon 50 Millionen US-Dollar in dieses Forschungsfeld investiert, mit Kooperationen weltweit. Im Jahr 2013 schrieb das Unternehmen einen millionendollarschweren Preis aus, um Forschung in der bioelektronischen Medizin zu fördern.

Jetzt hat sich GSK mit Verily Life Sciences, einer Tochtergesellschaft von Googles Mutterunternehmen Alphabet, in einem Joint Venture zusammengeschlossen. 715 Millionen US-Dollar investieren die Unternehmen über die nächsten sieben Jahre in eine neue Firma namens Galvani Bioelectronics.

Was ist eigentlich bioelektronische Medizin?

Bioelektronische Medizin benutzt kleine implantierbare Geräte, um elektrische Signale im menschlichen Körper zu verändern und zu steuern. Das können beispielsweise elektrische Signale sein, die in der Lunge die Spannung der Atemwege einstellen. Indem man diese Signale beeinflusst, könnte man, so hoffen die Forscher, beispielsweise Asthma-Patienten helfen.

Die kleinen Geräte, die sich um Nerven legen und deren elektrische Signale kontrollieren, könnten auch Diabetes oder Arthritis heilen. Forscher im englischen Sprachraum nennen sie "electroceuticals", da sie anstelle von klassischen chemischen Medikamenten, den "pharmaceuticals", in die Körperfunktionen eingreifen.

Kris Famm, stellvertretender Vorsitzender der bioelektronischen Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei GSK und Geschäftsführer bei Galvani Bioelectronics, sagte im DW-Interview, Galvani wolle sich auf "periphere" Krankheiten konzentrieren. Damit meint er Krankheiten, die nicht direkt das Gehirn oder das Rückenmark betreffen, sondern Körperorgane wie Bauchspeicheldrüse und Lunge.

Kann bioelektronische Medizin bei neurologischen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson helfen?

"Ich bin mir sicher, dass andere Mitspieler auf diesem Forschungsfeld neuropsychiatrische Störungen angehen werden und versuchen, das zentrale Nervensystem zu modulieren", meint Famm. "Die Herausforderung dabei ist allerdings groß: Man muss die elektrischen Schaltkreise im Gehirn entwirren und genau wissen, wo man ansetzt. Das ist sehr viel komplexer als gezielt Signale in der Nähe eines Körperorgans zu verändern."

Wie passt Google in die medizinische Forschung?

Das Internet- und Technikunternehmen Google ist schon seit langem am Gesundheitswesen interessiert. Der Webservice Google Flu Trends etwa sollte aus dem riesigen Datensatz, der bei Internetsuchen generiert wurde, vorhersagen können, wo die nächste Grippewelle ausbrechen wird. Das Projekt Google Genomics wiederum wollte Millionen von DNA-Datensätze sammeln und speichern, um die medizinische Forschung voranzutreiben.

Das Unternehmen verfolgt zudem die allgemeine Fitness der Menschen mit mobilen Gesundheitsapps. Im letzten Monat verkündete Google Deepmind, ein Unternehmen, das sich der künstlichen Intelligenz widmet, sein erstes gemeinsames medizinisches Forschungsprojekt mit Mitteln aus dem staatlichen Gesundheitssystem Großbritanniens. Und bald werden womöglich die mit Sensoren ausgestatteten Kontaktlinsen von Verily Life Science den Blutzuckerspiegel von Menschen mit Diabetes überprüfen.

Wer schließt bei dem Deal am besten ab?

Das ist derzeit noch schwer zu sagen. Aber klar ist, dass GSK von Googles Erfolgsgeschichte bei der Handhabung riesiger Datensätze profitieren wird. Und Googles Firma Verily wird es zugutekommen, dass GSK, ein traditioneller Medikamentenhersteller, dem Unternehmen den stillschweigenden Stempel der Zustimmung aufdrückt.

Finanziell ist der Deal ein Zeichen des Vertrauens in die Forschungsergebnisse, die es bisher gibt. 715 Millionen US-Dollar über sieben Jahre ist allerdings bedeutend weniger als die Kosten, die die Entwicklung traditioneller Medikamente schluckt.

Was fehlt noch, bevor bioelektronische Medikamente ihren großen Durchbruch haben können?

Die große Herausforderung ist, die Geräte klein genug zu bekommen und gleichzeitig so effizient, dass sie mit so wenig Energie wie möglich laufen. Und da kommt eine Technikfirma ganz gelegen, sagt Kris Famm von GSK. "Wie übertragen wir die Energie drahtlos in den Körper, wie designen wir energieffiziente Geräte und neurale Verbindungen, so dass sie genau die richtigen Stimulationsmuster übertragen können? All das sprach dafür, sich mit einer Technikfirma zusammenzuschließen, die auf diesen Gebieten stark ist - und das ist Verily."

Gibt es Anlass, sich Sorgen zu machen?

Vielleicht. Denn bioelektronische Medikamente sind im Grunde nichts anderes als elektronische Geräte, die Daten senden und empfangen - und vernetzt werden. "Das müssen wir sehr ernst nehmen", sagte Famm. "Es gibt sicherlich Bedenken, dass jemand einen Herzschrittmacher oder einen implantierbaren Defibrillator hacken könnte. Wenn wir Elektronika im Gesundheitswesen haben, dann müssen wir uns um solche Bedenken kümmern."

Allerdings, so fügt Famm hinzu, "übertreiben wir dabei nicht. Wir reden davon, chronische Krankheiten zu behandeln, und wenn wir dabei die Ergebnisse erzielen, die wir uns erhoffen, sind wir verpflichtet, die entsprechende Technik den Patienten zugänglich zu machen. Vergessen Sie nicht: ein Nerv in der Körperperipherie ist kein USB-Anschluss an unser gesamtes Nervensystem. Niemand kann sich an einen Nerv in meiner Bauchspeicheldrüse anschließen und darüber meine Gedanken kontrollieren."

Galvani hofft, im Jahr 2023 den Behörden seine ersten bioelektronischen Medikamente zur Genehmigung vorlegen zu können.