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Goethe am Ganges

10. Dezember 2009

Weltweit lernen immer weniger Menschen Deutsch – nur in Indien nicht. Hier sind 20.000 meist junge und gut ausgebildete Inder an den Goethe-Instituten eingeschrieben. Die kommen mit ihren Lehrangeboten kaum nach.

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Indische Studierende mit Deutsche-Lern-Schildern in Kalkutta (Foto: dpa)
Guten Tag!Bild: picture-alliance/ dpa

Die Deutschkurse an indischen Goethe-Instituten sind quasi ausgebucht, dabei will kaum ein Inder nach Deutschland. Niemand hofft auf eine Greencard, Köln oder Berlin sind keine Traumziele indischer Studenten oder Arbeitnehmer. Deutsch gilt in dieser rasant wachsenden Wirtschaftsnation vielmehr als Zusatzqualifikation vor Ort. „Die Wirtschaftsbeziehungen sind stark gewachsen, im Raum Pune, Maharashtra, gibt es über 120 deutsche Firmen, darunter Mercedes, BMW und Volkswagen“, erklärt der Leiter der Sprachabteilung für Südasien, Eberhard Weller. „Und wenn Sie in einer deutschen Firma arbeiten wollen, dann brauchen Sie eben Deutsch als Zusatzqualifikation.“

Leseraum des Goethe-Instituts Neu Delhi (Foto: dpa)
Leseraum des Goethe-Instituts Neu DelhiBild: picture-alliance/dpa

Inder sind versessen auf Bildung. Ein indischer Vater verzichtet lieber auf das zweite Auto und schickt seine Kinder in eine gute Schule oder gleich ins Max Müller Bhavan – so heißen die Goethe-Institute in Indien. Den Namen „Goethe-Institut“ sucht man in Indien fast vergeblich, er taucht nur im Kleingedruckten auf. Diese Namensänderung ist einmalig auf der Welt. Eigentlich war es ein PR-Gag. Max Müller, den in Deutschland kaum jemand kennt, ist in Indien sehr bekannt. Der Forscher und Gelehrte aus dem 19. Jahrhundert bekam zwar Indien nie zu Gesicht, er war aber der weltweit bedeutendste Gelehrte für die Literatur des Sanskrit.

Max Müller statt Goethe

Ihm gelang es, die heiligen Gesänge der Inder, die Veden, in einer kritischen Edition aufzuschreiben und zu übersetzen. Er brachte also gewissermaßen die heiligen Texte der Inder nach Indien zurück. Vergessen haben sie ihm das nie. Und so klingt „Max Mueller Bhavan“ in indischen Ohren unendlich attraktiver, als es der Name Goethe je sein könnte. „Wirtschaft hin oder her, das deutsch-indische Verhältnis beruht immer noch auf den Geistesbeziehungen des 19. Jahrhunderts“, meint Magdalene Duckwitz.

Eine Gruppe indischer Mädchen (Foto: DW)
50 Jahre Goethe Institut in Indien - die Inder kennen es unter dem Namen Max Müller BhavanBild: DW/ Werner Bloch

Sie kam 1953 zur Einweihung der deutschen Botschaft nach Delhi und lebt immer noch in der indischen Hauptstadt. Neben Delhi hat sie im Jahre 1959 die Gründung der Max Müller Bhavans in Mumbai, Pune, Bangalore, Kalkutta und Chennai erlebt. Nirgendwo sonst sind so viele Goethe-Institute in einem Jahr gegründet worden. „Wir Deutschen haben den Indern ja eine Menge zu verdanken“, sagt Magdalene Duckwitz. „Selbst Goethe hat sich im Vorspiel auf dem Theater zu Faust I von einem alten indischen Text inspirieren lassen.“

Kalte Deutsche, konfuse Inder

Doch trotz aller historischen Verbindungen: heute droht der Kulturschock zwischen Indern und Deutschen, vor allem in der Wirtschaft. Die Deutschen sind extrem direkt und sachorientiert, die Inder empfinden das als kalt und unhöflich. Sie sind beziehungsorientiert und arbeiten oft gleichzeitig an mehreren Projekten, was den Deutschen konfus erscheint. Wer als Geschäftsmann den Clash der Zivilisationen vermeiden will, der kann am Goethe-Institut in Mumbai Kurse in „interkultureller Kommunikation“ belegen. Dort wird klar, dass Kultur hier nichts mit Luxus zu tun hat. Ohne Kultur kein Geschäft.

Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe Instituts (Foto: DW)
Klaus-Dieter Lehmann im indischen FeiergewandBild: DW/ Werner Bloch

Das hat auch der Indien-Chef von Mercedes, Dr. Wilfried Aulbur, in seiner Fabrik in Poona schon bemerkt. „Das ökonomische und politische Gleichgewicht der Welt verändert sich dramatisch, und da muss ein Land wie Deutschland sicherstellen, dass alle an einem Strang ziehen“, sagt er. Wenn man eine kulturelle Verbindung und eine kulturelle Akzeptanz habe, sei es viel einfacher, Geschäfte abzuschließen. Die Inder hätten den Deutschen gegenüber eine positive Grundhaltung. Und die Arbeit des Goethe-Instituts sei „dramatisch wichtig.“

Tanzendes Chaos

Dass auch kulturell nicht immer alles glatt läuft bei diesem Tanz zwischen den Welten, erlebte auch Pina Bausch. Die inzwischen verstorbene Choreografin und Tänzerin erlebte bei ihrer ersten Indien-Tournee einen völligen Flop. Ihre Aufführung musste sogar in Kalkutta von der Bühne genommen werden, da sie bei den Indern echte Empörung auslöste. So viel Freizügigkeit war man auf einer Tanzbühne nicht gewohnt. Als Pina Bausch wenige Jahre später verändert zurückkehrte, geschah das zum Triumphzug. Indien feierte ihren Tanz und wurde zu einer wichtigen Fangemeinde.

Das sei doch wunderbar, sagt Goethe-Präsident Klaus-Dieter Lehmann, der gerade durch fünf indische Goethe-Institute getourt ist und immer wieder auf Pina Bausch angesprochen wurde. „Da verändert sich ihr Tanz unter dem indischen Zauber und umgekehrt erfährt Indien, welche soziale und politische Dimension der Tanz aufweisen kann. Wie sollte internationaler Kulturaustausch besser gelingen?“

Autor: Werner Bloch

Redaktion: Marlis Schaum