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Gmünder Weg zur Integration

Sabrina Pabst 29. Oktober 2015

Zeltstädte, Containerdörfer, überfüllte Turnhallen: Deutsche Kommunen haben große Not, Flüchtlinge angemessen unterzubringen. Eine Gemeinde im Süden Deutschlands zeigt, wie es auch anders geht.

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Deutschland Richard Arnold Oberbürgermeister Schwäbisch Gmünd mit einem Flüchtling (Foto: picture-alliance/dpa/M. Murat)
Bürgermeister Richard Arnold (links) besucht einen Deutschlernkurs (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Herr und Frau Arnold sind um die 80. Ihre Kinder sind schon lange aus dem Haus, die Enkel längst erwachsen. In ihrem Einfamilienhaus ist ihnen trotzdem nicht langweilig. Sie haben zwei Flüchtlinge aus Afrika aufgenommen. Seitdem die jungen Männer aus Gambia und Nigeria bei ihnen leben, sei ihr Leben interessanter geworden, berichtet ihr Sohn Richard.

Richard Arnold ist Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd. Die angemessene Unterbringung geflüchteter Menschen hat er zur Chefsache erklärt. 800 Flüchtlinge hat die 60.000 Einwohner zählende Stadt bisher aufgenommen. In den kommenden Monaten sollen 500 weitere folgen. "Ich habe einen Aufruf gestartet und unsere Einwohner gebeten, sie mögen mir freie Zimmer oder Wohnungen melden", erzählt Arnold. "Als Antwort habe ich spontan 80 Wohnmöglichkeiten bekommen." Für ihn ist das ein großer Erfolg, denn fast die Hälfte der Flüchtlinge wohnen mittlerweile in privaten Zimmern, auch seine Eltern leben seitdem in einer Wohngemeinschaft.

Individuelles Wohnen statt Massenunterkünfte

Während in vielen deutschen Städten Flüchtlingsunterkünfte überfüllt sind und Asylbewerber Zelte und Container beziehen müssen, wirbt er als Oberbürgermeister in Schwäbisch Gmünd und dem Umland fleißig für sein Konzept. "Integration findet in den Kommunen statt und in unserem Alltag. Das klappt nur, wenn die Menschen, die zu uns kommen, dezentral untergebracht sind und nicht in Massenunterkünften", erklärt Arnold seinen Ansatz. "Ich bekomme jede Woche Angebote, die zugeschnitten auf Container oder andere Massenunterbringungen sind." Integration funktioniere nicht, wenn Flüchtlinge in viel zu engen Gemeinschaftsunterkünften sitzen, meint Arnold. Sprachkurs, Schulabschluss, Berufspraktikum oder Ausbildung: diese Lernziele erfordern viel Zeit, Fleiß und Engagement der Flüchtlinge - vor allem benötigen sie zum Lernen Ruhe und eine intensive Betreuung. Voraussetzungen, die Arnold in überfüllten Räumen und Wohnungen als nicht gegeben sieht.

Deutschland Kirche in Schwäbisch Gmünd (Foto: picture alliance/Dumont)
Das Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch GmündBild: picture alliance/Dumont

Martha Aykut, Integrationsbeauftragte der 50 Kilometer entfernten Stadt Stuttgart, ist sehr um Integration geflüchteter Menschen bemüht. Doch in Stuttgart herrschen ganz anderen Dimensionen. 5000 Flüchtlinge muss die etwa 600.000 Einwohner zählende Landeshauptstadt beherbergen. Dort werben Aykut und ihr Team für eine dezentrale Unterbringung, auch in gutbürgerlichen Stadtbezirken. "Viele Gespräche mit der Bevölkerung sind für eine positive Stimmung in der Bevölkerung und Nachbarschaft wichtig", sagt die stellvertretende Leiterin der Stuttgarter Integrationsbehörde im DW-Interview. Die Wohnungsversorgung sei im Vergleich zum angespannten Miet-Imobilienmarkt der Studentenstadt in ländlichen Regionen sicher komfortabler.

Infrastruktur versus Privatsphäre

Ein großer Vorteil der Stadt gegenüber ländlichen Räumen wie Schwäbisch Gmünd sei vor allem das große Angebot, meint Aykut. "Bei allen anderen Dingen haben wir in der Großstadt bessere Strukturen, sei es die Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen oder die Angebote zielgruppengerechter Kurse", räumt die Integrationsbeauftragte ein. Auf individuelle Bedürfnisse könne zielgerichtet eingegangen werden. Deutschlernangebote, Vorbereitungsklassen, Kita-Plätze - "die Stadtverwaltung und alle Ämter haben den Ausbau im Blick und strengen sich an, dass eine Normalversorgung funktioniert." In einzelnen Stadtteilen haben sich für eine angenehme Willkommenskultur Freundeskreise gebildet. So kommen auf die 5000 Flüchtlinge in Stuttgart 2000-2500 Freiwillige, die sie nach ihrer Ankunft unterstützen.

"Wir haben vom Ausnahmezustand in den Normalbetrieb gewechselt. Wir nehmen unsere Flüchtlinge auf und integrieren sie." Normalbetrieb heißt laut Arnold, zu akzeptieren, dass viele Menschen da sind. Diese Akzeptanz hat er durch viele Gespräche mit seinen Bürgern geschaffen, berichtet der engagierte Bürgermeister. " Das hat eine friedliche Atmosphäre geschaffen. Wir haben klar gemacht: Zur Bürgerschaft unserer Stadtgemeinschaft gehören alle - auch Flüchtlinge und Asylbewerber."

Tausende Flüchtlinge kommen in einer Notunterkunft in Freilassing, nahe Rosenheim unter. (Foto: DW/K. Brady)
Hunderte Flüchtlinge leben in überfüllten Turnhallen auf engstem RaumBild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

"Jeder kann profitieren"

Seinem Aufruf sind nicht nur Wohnungsanbieter gefolgt. Es haben sich auch Einheimische bei ihm gemeldet, die in Not waren und Hilfe brauchten. Ein älteres Ehepaar musste ausziehen und hat im Umkreis keine neue Wohnung gefunden. Das Paar konnte Richard Arnold vermitteln. Genauso wie eine alleinstehende Mutter mit mehreren Kindern, die schon lange eine geeignete Wohnung gesucht hatte. "Wir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung, Menschen aufzunehmen und zu integrieren. Dabei geht es nicht nur um Flüchtlinge, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen, sondern Menschen, die in Not geraten sind. Auch denen müssen wir die Hand reichen", erklärt Arnold.

Doch diese Aufgaben können Gemeinden und Kommunen nur leisten, wenn die Zahl der Flüchtlinge überschaubar sei, meint Arnold und kritisiert damit das bisherige europäische Krisenmanagement. Dass Großstädte mit ganz anderen Dimensionen arbeiten, ist Arnold klar. "Mein Eindruck ist, dass wir in kleinen Städten die Flüchtlingsunterbringung eher bewältigen können. Aber das gelingt nur, wenn es zur Chefsache gemacht wird und in einer Verwaltung alle zusammen arbeiten." Die Menschen erwarten, dass ihr Bürgermeister diese Probleme im Griff hat.