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"Soziales Problem"

Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos20. April 2012

Gleichberechtigung zwischen muslimischen Männern und Frauen habe kaum mit Religion zutun, sagt Gönül Halat-Mec. Sie ist Fachanwältin für Familienrecht und Mitglied im Plenum der Deutschen Islamkonferenz (DIK).

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Gönül Halat-Mec, Familienanwältin in Frankfurt am Main, Mitglied im Plenum der Islamkonferenz seit März 2010, und Mitglied in der "Frankfurter Initiative progressiver Frauen" (Foto: Gönül Halat-Mec)
Bild: Gönül Halat-Mec

Deutsche Welle: Wie steht es derzeit um die Gleichberechtigung von muslimischen Männern und Frauen in Deutschland?

Gönül Halat-Mec: Man muss unterscheiden: Es ist immer davon abhängig, in welchem sozialen Milieu die Leute leben. Was wir in der Islamkonferenz herausgearbeitet haben, ist, dass vieles eigentlich nicht mit Religion oder dem Islam zutun hat, sondern traditionell-patriarchalisch begründet ist. Und das hängt auch vom sozialen Status der Leute ab - vor allem der Frauen natürlich. Steht sie im Berufsleben, steht sie auch sonst ihre Frau? Auch auf der Islamkonferenz haben wir gemerkt: Egal, wie sie religiös verankert sind, Gleichberechtigung ist vor allem ein soziales Problem. Man muss es etwas von der Religion gelöst sehen. Natürlich ist es aber auch so, dass im Islam die Frauenrolle vielleicht noch geprägter ist. Durch die Nichtaufarbeitung der Vergangenheit, durch die fehlende Aufklärung.

Wie zeigt sich die Gleich- und Nicht-Gleichberechtigung muslimischer Frauen?

Wir haben uns in unserer Projektgruppe der Islamkonferenz verschiedene Profile angeschaut. Wenn die Frau im Berufsleben steht, wenn sie Geld verdienen kann, dann ist es tatsächlich so, dass eine partnerschaftlichere Beziehung besteht, als mit der typischen Rollenaufteilung zwischen männlichem Geldverdiener und weiblicher Hausfrau. Es muss nicht bedeuten, dass man in dieser Rolle nicht glücklich ist, aber wenn eine Frau finanziell unabhängig ist, lässt sie sich vielleicht weniger von ihrem Mann gefallen als jemand, der sozial abhängig ist. Das erlebe ich auch in meiner Arbeit als Fachanwältin für Familienrecht. Und das ist auch in der Mehrheitsgesellschaft nicht anders.

Was wären mögliche Lösungen?

Wenn muslimische Frauen besser ausgebildet wären, wenn sie arbeiten könnten, würden wir vermutlich eine bessere Angleichung bekommen. Dazu gehört beispielsweise auch die leichtere Anerkennung ihrer ausländischen Bildungsabschlüsse, was ich für einen wichtigen Schritt halte. Deswegen war ich bei der Islamkonferenz auch in beiden Projektgruppen: 'Gleichberechtigung von Männern und Frauen' und 'Integration von Muslimen am Arbeitsmarkt'. Weil ich beide Themen nah beieinander sehe. Geschlechtergerechtigkeit bekommen wir nur, wenn wir auch soziale Unabhängigkeit haben.

Was sind denn Ergebnisse der Islamkonferenz vom Donnerstag (19.04.2012) zur Geschlechtergerechtigkeit im Islam?

Wichtig war, dass wir am Ende diese Erklärung abgegeben haben und alle, wirklich alle gesagt haben: Häusliche Gewalt und Zwangsverheiratung haben nichts mit Religion zu tun und können nicht toleriert werden. Sie sind fundamentale Menschenrechtsverletzungen. Ich finde das sehr wichtig als Signal an die Gesellschaft. Ich finde es gut, dass die islamischen Verbände das mitgetragen haben. Weil die jetzt diese Theorie, die wir verabschiedet haben, an die Basis herantragen und dort den Diskurs führen müssen. Dann können wir vielleicht weiterkommen. Aber auch die Bildung und den Zugang zum Arbeitsmarkt müssen wir viel stärker in den Fokus nehmen.

Was könnte noch getan werden?

Die Regierung, aber auch die Gesellschaft, müssen die richtigen Signale setzen, und sagen: 'Ihr seid mit eurer Religion hier, aber sie ist kein Hindernis in diesem Land. Wir arbeiten daran, bessere Bildungschancen zu bieten. Wir wollen aber auch bessere Möglichkeiten zur Begegnung der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Gesellschaft fördern.' Ich bin sicher, durch Begegnungen lässt sich vieles ändern. Vorurteile lassen nach. Deutschkenntnisse werden besser. Wichtig ist aber auch, dass die Religion der deutschen Wertordnung untergeordnet wird. Falsche Religionstoleranz kann in dieser Gesellschaft nicht geduldet werden. Da müssen wir unsere Demokratie, unsere Werte der Aufklärung, unsere Wertordnung vor jeglichen Religionshütern schützen.

Gönül Halat-Mec ist seit März 2010 Mitglied im Plenum der Deutschen Islamkonferenz (DIK) und Fachanwältin für Familienrecht - überwiegend für Mandanten mit Migrationshintergrund. Außerdem ist sie Mitbegründerin der FRAINFRA (Frankfurter Initiative progressiver Frauen). Sie versteht sich in der DIK als Vertreterin der Muslime in Deutschland, die nicht in Verbänden organisiert sind und Religion als Privatangelegenheit verstehen. Gönül Halat-Mec ist in der Türkei geboren und hat ihre Schulausbildung und ihr Jurastudium in Deutschland absolviert. Seit 1997 ist sie selbständige Rechtsanwältin in Frankfurt am Main.