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Die russische Gefangenschaft dauerte nicht lang

6. Mai 2010

Für Hans Werner Cimball, Jahrgang 1924, ist der 8. Mai 1945 ein Tag der gemischten Gefühle. Einerseits geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, andererseits aber hatte er so viel Glück wie kaum ein anderer.

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Photo von Hans Werner Cimball als Soldate 1943
Hans Werner Cimball 1943 als SoldatBild: Privat

Mitte April 1945 ist Hans Werner Cimball wegen einer Verwundung in der Sanitäter-Ersatzabteilung der "Genesungskompanie" in Berlin. Seine Eltern wohnen kaum 30 Kilometer entfernt, in dem Städtchen Neuseddin hinter Potsdam. So kann er öfters nach Hause fahren.

Urlaub bis zum Wecken!

Diese Heimfahrscheine sind sehr beliebt, denn mit ihnen war die Erlaubnis verbunden, erst am nächsten Morgen – beim Wecken – wieder in der Kaserne sein zu müssen. "Urlaub bis zum Wecken“ – damit tröstet sich auch Hans Werner Cimball über den ansonsten öden Alltag in der "Genesungskompanie". Aber das schöne Leben ändert sich am 21. April 1945. Tags zuvor nämlich ist der Neuseddiner Bahnhof bei einem amerikanischen Bombenangriff zerstört worden.

Portraitfoto von Hans Werner Cimball, Jahrgang 1924
Hans Werner Cimball, Jahrgang 1924Bild: Privat

Der Kompaniechef stellt ihm noch einmal einen Reiseschein aus – dieses Mal bis Beelitz-Heilstätten, nicht weit von Neuseddin entfernt. Er fährt nach Hause - doch die Rückkehr zur "Genesungskompanie" gelingt ihm nicht mehr: Der Ring der alliierten Truppen um Berlin ist geschlossen. Die Stadt ist nicht mehr zu erreichen. Für Hans Werner Cimball eine schwierige Situation: "Ich hätte die Uniform ausziehen können, dann hätte ich von deutschen Truppen als Deserteur wegen Fahnenflucht aufgehängt werden können," erzählt Cimball, "oder ich behielt die Uniform an und die Russen erschießen mich."

Vom "Volkssturm" zur "Armee Wenck"

Er entschließt sich beim so genannten "Volkssturm" unterzutauchen. Dort müssen sich zwangsweise verpflichtete Zivilisten einfinden, um in den letzten Kriegswochen gegen den Feind ins Feld ziehen. Sie sind schlecht ausgerüstet und chancenlos. Während einer Routinekontrolle durch die Militärpolizei wird Hans Werner Cimball entdeckt, als Soldat identifiziert und zu einer Wehrmachtseinheit transportiert: "Das war die Panzergrenadierdivision Friedrich Ludwig Jahn. Von Panzern keine Rede und von Grenadieren auch kaum, es waren fast alles ganz junge Arbeitsdienstleute!"

Soldbuch von Hans Werner Cimball
Soldbuch: Kassenbuch und AusweisBild: Privat

Ohne es zu wissen, wird er Teil der Armee von General Walter Wenck, der kurz zuvor von Hitler zum Befehlshaber dieser Armee ernannt worden war. Für den im Bunker tief unter Berlin sitzenden Hitler ist General Wenck die letzte Hoffnung. Immerzu brüllt er in den Katakomben des Bunkers: “Wenck, wo ist Wenck?“

General Wenck aber hat die Sinnlosigkeit dieses Unternehmens erkannt und seine hauptsächlich aus ganz jungen Soldaten bestehende Armee in den Westen geführt. Hans Werner Cimball erinnert sich: "Wir hatten keine Gefechte. Ich hatte auch keine Verwundeten zu versorgen. Wir sind also relativ günstig weggekommen, weil die Armee Wenck auf dem Rückmarsch in Richtung Westen war."

Doppelte Kriegsgefangenschaft

Am Abend des 7. Mai 1945 erreicht die Armee Wenck das Elbeufer. Die Brücken sind zerstört, so dass die meisten Soldaten schwimmend das andere Ufer erreichen, wo sie direkt von Amerikanern gefangen genommen werden. Auch Hans Werner Cimball ist dabei. Aber die Erleichterung, nicht den sowjetischen Truppen in die Hände gefallen zu sein, hält nur bis zum nächsten Morgen.

Die Amerikaner lassen sie antreten und führen sie in einem zehnminütigen Marsch wieder ans Elbufer, um sie mit großen Schiffen auf das andere, das von sowjetischen Einheiten besetzte Flussufer zu bringen: “Da haben uns die Russen empfangen und wir sind in russische Kriegsgefangenschaft geraten.“ Kurz darauf werden die Kriegsgefangenen nach Brandenburg/Havel transportiert, um ein Stahlwerk zu demontieren.

Das Glück kommt zurück

Hans Werner Cimball ist Sanitäter und wird mit Aufgaben im Lagerlazarett beauftragt. Von der schweren Arbeit der Demontage ist er befreit. "Als die Demontage nach einigen Wochen vorbei war, wurden die meisten auf Arbeitstauglichkeit untersucht und anschließend abtransportiert – in die Sowjetunion.“Da er im Lazarett eingesetzt gewesen ist, wird er nicht auf Arbeitstauglichkeit untersucht, sondern nach der Auflösung des Lagerlazaretts entlassen. Die Kriegsgefangenschaft ist für ihn am 27. September 1945 beendet: "Das war natürlich für mich das ganz ganz große Los, was ich da gezogen hatte."

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Silke Wünsch