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Gipfel der Disharmonie

Bernd Riegert, Brüssel17. Dezember 2004

Der festgefahrene Konflikt um das geteilte Zypern brachte den EU-Gipfel zum Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei an den Rand des Scheiterns. Nur ein diplomatisches Lehrstück konnte den Gipfel noch retten.

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Fast wäre der EU-Gipfel zum Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei an einer selbst gestellten Falle gescheitert. Beide Seiten manövrierten sich in Positionen, aus denen es fast keinen Ausweg mehr gab. Die EU stellte Bedingungen, von denen sie hätte wissen können, dass sie die türkische Regierung nicht akzeptieren würde. Die Türken verharrten in einer rückwärts gewandten Sichtweise des Zypernkonfliktes.

So geriet das Treffen in Brüssel, das doch eigentlich den historischen Start einer neuen Phase türkisch-europäischer Annäherung markieren sollte, zu einer Kraftmeierei spätpubertärer Regierungschefs aus Nikosia und Ankara. Am Ende blieb nur die Frage, wer gibt als Erster nach: Tassos Papadopoulos, der zyprische Präsident, oder Recep Tayyip Erdogan, der türkische Premier. Mittendrin saß der milchbärtige Jan-Peter Balkenende, der EU-Ratsvorsitzende, der die Streithähne nur mit Mühe zur Räson bringen konnte. Balkenende, den die Niederländer wegen seiner runden Brillengläser nur "Harry Potter" nennen, fehlten die rechten Zauberformeln, um das peinliche Gezerre zu beenden.

Die EU-Staats- und Regierungschefs bekamen einen Vorgeschmack auf das, was ihnen in den kommenden zehn Jahren bei den Verhandlungen mit der Türkei noch blühen könnte. Die Türkei ist ein stolzes Land. Der gemäßigte religiös-nationalistische Premier Erdogan muss erst noch beweisen, ob es ihm ernst ist mit der Integration in eine Gemeinschaft, die Zugeständnisse und Verzicht auf Souveränität verlangt.

Die EU hat bei der letzten Erweiterungsrunde den Kardinalfehler begangen, das Zypern-Problem in die Gemeinschaft zu importieren. Die geteilte Insel hätte nach der Ablehnung der Wiedervereinigung durch die griechischen Zyprer nicht in die EU aufgenommen werden dürfen. Jetzt verfügt der als stur und ebenfalls nationalistisch bekannte zyprische Präsident Tassos Papadopoulos über ein Veto, das er beim Gipfel waidlich ausspielte. Sowohl der EU-Ratspräsidentschaft als auch der Türkei hätten klar sein müssen, dass die Anerkennung Zyperns vor dem Gipfel hätte geregelt sein müssen. Es ist ja wohl selbstverständlich, dass man die Mitglieder des Klubs, in den man eintreten will, auch anerkennen muss.

Jetzt endete der Gipfel in Disharmonie mit einem wachsweichen Versprechen der Türkei, Zypern irgendwann auf Umwegen anzuerkennen. Damit ist das Problem nur verschoben, nicht gelöst. Was passiert, wenn es vor dem 3. Oktober 2005 nicht zu einer Lösung kommt? Müssen dann die Beitrittsgespräche, auf die dann 42 Jahre hin gearbeitet wurde, ausgesetzt werden? Neue Krisen sind vorprogrammiert.

Ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen mit dem Ziel der Mitgliedschaft, die zeitlich unbefristet sind. So lautet die goldene Formel auf die sich die EU-Staaten verständigt hatten, um alle unter ein Dach zu bekommen. Der dritte Weg und die privilegierte Partnerschaft wurden beerdigt. Das Wort "ergebnisoffen" ist dabei eigentlich ein falsches Etikett, denn im Beitrittsprozess übernimmt die Türkei Zug um Zug das EU-Recht und erfüllt wirtschaftliche Vorgaben. Das wird lange dauern, aber irgendwann wird sie es geschafft haben. Dann noch einmal das Ergebnis in Frage zu stellen, wäre paradox.

Weil niemand in der EU so recht weiß, ob das neue Erweiterungsabenteuer gelingen wird, wurden eine ganze Reihe von Sicherungen eingebaut. Das ist richtig, aber jetzt geht es darum, die Türkei wirklich zu einem EU-tauglichen Staat zu machen. Mit Engagement und Ehrlichkeit auf beiden Seiten. Über die Aufregung um die Zypernfrage sollte man das strategische und wirtschaftliche Interesse, das Europa und die Türkei an einer Verschmelzung haben müssen, nicht vergessen.

Die Tür nach Europa ist aufgestoßen, auch wenn sie etwas in den Angeln ächzt.