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Gewitterwolken am französischen Kinohimmel

13. Januar 2002

Nach einer märchenhaft erfolgreichen Saison sieht die Zukunft plötzlich düster aus. "Ist das wunderbare Jahr des französischen Films das letzte gewesen?", sorgt sich die Kulturzeitschrift "Télérama".

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Amélie hat eine ganze Nation verführtBild: PROKINO

Den Anlass bot Jean-Marie Messier, Chef des weltweit zweitgrößten Medienkonzerns Vivendi Universal. Das Unternehmen ist in hohem Maße an der Filmförderung beteiligt, und Messier hat diese unverhohlen in Frage gestellt. Staatspräsident Jacques Chirac sah sich prompt genötigt Paroli zu bieten: "Kunstwerke und Kulturgüter mit ganz gewöhnlichen Handelsgütern gleichzusetzen zeugt von tiefer geistiger Verwirrung." Kino ist für die Grande Nation nun mal keine seichte Unterhaltung, sondern Oper - Kunstgenuss und gesellschaftliches Ereignis in einem. Und deshalb ist die Filmförderung auch nicht nur Wirtschafts- sondern auch Kunstförderung.

Messiers Vorstoß

Vor wenigen Wochen hatte es Messier in New York gewagt, die "exception culturelle" für tot zu erklären. Die Zauberformel der "kulturellen Ausnahme" war 1994 bei den GATT-Verhandlungen gefunden worden. Damals hatte sich Frankreich dafür eingesetzt, dass Kulturprodukte nicht wie die übrigen Handelsgüter behandelt werden dürfen. Seitdem haben die Nationen das Sonderrecht, ihren heimischen Filmmarkt zu schützen, und Frankreich macht von diesem Recht fleißig Gebrauch.

Vivendi Universal hat vor einem Jahr den französischen Fernsehsender Canal+ aufgekauft, der 20 Prozent seines Jahresumsatzes in französische Kinoproduktionen investieren muss. Ein Ausstieg von Canal+ aus dem Subventionssystem könnte die bisherige Filmförderung zusammenbrechen lassen. Denn der erfolgreiche Privatsender trägt mehr als ein Viertel der gesamten Produktionskosten. Es kommt nicht selten vor, dass mehr als die Hälfte der französischen Filme eines Jahres von ein und derselben Gruppe stammen - Vivendi Universal.

Deutschland und Frankreich im Vergleich

Frankreich ist stolz auf den Erfolg seines einzigartigen öffentlichen, zentralen Systems der Filmförderung, das viele ausländische Produzenten und Filmemacher neidisch werden lässt: 170 Filme wurden im vergangenen Jahr gedreht, die Zahl der Zuschauer, die sich französische Produktionen ansehen, ist um mehr als 50 Prozent gestiegen. Allein den Erfolgsfilm "Amélie", inzwischen zu Europas Film des Jahres gekürt und mit Chancen für die Oscar-Vergabe, sahen in Frankreich acht Millionen Besucher. Erstmals fiel der Marktanteil des US-Films unter 50 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland beherrscht Hollywood mit meist über 80 Prozent den Kinomarkt. Zwar brechen Spaßfilme wie "Der Schuh des Manitu" Publikumsrekorde und auch anspruchsvolle Filme wie "Das Experiment" machen Kasse. Aber trotz allem erreichte der deutsche Film nur 13 Prozent Marktanteil im letzten Jahr.

Der Schuh des Manitu
Bild: presse

Frankreichs funktionierende Quotenregelung

Den eigenen Filmmarkt erobern, das ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs oberstes Ziel französischer Filmpolitik. Und der Feind heißt Hollywood. Frankreich setzte der drohenden amerikanischen Vorherrschaft schon früh das Bollwerk Quotenregelungen entgegen. Schon 1992 wurde in Frankreich ein Gesetz erlassen, das Ausstrahlungsquoten zugunsten französischer und europäischer Filme festlegt: Danach müssen 40% des ausgestrahlten Programms eines Fernsehsenders französischsprachigen Ursprungs und 60% europäischen Ursprungs sein. Nur die verbleibenden 40% stehen zur freien Verfügung. Diese gesetzlichen Auflagen helfen der einheimischen Kinowirtschaft ungemein. Und ein weiterer Coup: die Kinosteuer auf jede verkaufte Eintrittskarte zur Filmförderung. Heute gehen elf Prozent von jedem Kinoticket an den französischen Film. So finanzieren auch Hollywoodfilme die nationale Filmproduktion mit.

"Messiers Interessen sind amerikanischer Art. Er ist von einem Gedanken besessen: das System explodieren zu lassen. Damit verhindert er das Überleben des französischen Kinos, steigert aber seinen Gewinn", kritisierte die französische Wochenzeitung "Le Nouvel Observateur" den Unternehmer. Mitarbeiter des staatlichen Zentrums für Filmwirtschaft (CNC) in Paris zeigen sich verunsichert: "Vielleicht sollte man generell den Anteil der Fernsehsender an den Kinoproduktionen etwas reduzieren." Für Elisabeth Flüry-Herard, Direktorin des Instituts zur Finanzierung des Kinos und der kulturellen Industrien (IFCIC), steht eine entscheidende Frage im Mittelpunkt: "Haben wir ein wirtschaftliches Modell, das noch funktioniert?" Die Zukunft wird’s zeigen.