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Gewinnwarnung mit Schwarzer Null

11. Mai 2009

Damals, vor den Krisen, als sich noch nicht jeder in der Wirtschaftssprache auskennen musste, da war ich naiv.

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Der Schriftsteller Burkhard Spinnen (Foto privat)
Der Schriftsteller Burkhard SpinnenBild: privat

Ich dachte zum Beispiel, dass Gewinnwarnungen von Unternehmen ausgegeben würden, um anzukündigen, man werde demnächst besonders viel Geld verdienen.

Damals war ich, wie gesagt, naiv. Heute bin ich es nicht mehr. Und ich weiß: Die Gewinnwarnung ist genau das Gegenteil von dem, was das Wort zu bedeuten scheint. Man warnt nämlich vor einem sich abzeichnenden Verlust; man kündigt an, dass Erwartungen enttäuscht werden und Geld verloren geht. Gewinnwarnung ist bloß eine der vielen üblichen Schönrednereien, ähnlich wie entsorgen für wegwerfen, genießen für essen, freistellen und verschlanken für entlassen und so weiter. Man kennt das. Machen ja alle. Kein Grund zur Aufregung. Oder etwa doch?

Ein mafiotisches Prinzip

Doch, ja! Ich halte diese Schönrednereien für gefährlich, denn ihre Verbreitung und ihr Anwachsen folgen einem mafiotischen Prinzip gegenseitiger Duldung. Man schaut den Leuten nicht so genau aufs Maul, wenn sie die Dinge schönreden und verbrämen - und erwartet im Gegenzug, dass man auch selbst nicht immer genau beim Wort genommen wird. Auf diese Art und Weise einigt sich eine ganze Sprachgemeinschaft klammheimlich auf ein hohes (und immer weiter steigendes) Maß an Nichtübereinstimmung zwischen Wort und Ding.

Schwarze Null

Börse in Frankfurt am Main
'Gewinnwarner' bei der ArbeitBild: AP

 

Keiner sagt mehr, was er meint. Schließlich lässt man sogar zu, dass Unternehmen, die nach der Gewinnwarnung tatsächlich nichts verdient haben, das nicht offen sagen, sondern von einer schwarzen Null in ihrer Bilanz sprechen. Und statt lachend auf dieses kleine Sprachmonstrum zu zeigen wie das Kind auf des Kaisers neue Kleider, akzeptieren Presse und Fachleute eine solche Spitzenleistung der Schönrednerei und machen daraus einen salonfähigen Begriff.

Es hat einmal jemand gesagt, auch die Bilanzen der Wirtschaft seien nur eine besondere Art von Prosa. Mag sein. Doch es gibt gute und schlechte Prosa. Gute sagt, was die Sache ist. Schlechte schmückt ihre dürftigen Inhalte mit rhetorischem Bombast. Viel Lärm um nichts. Schöne Verpackung für traurige Inhalte. Das mag eine Zeitlang gut gehen, aber es muss nur einer kommen und sagen: "Der Kaiser ist nackt." – Und schon stehen alle Nullen in der Ecke, tiefrot vor Scham.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Gerade ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf