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Gewinner Türkei

25. April 2004

Der Süden des seit 30 Jahren geteilten Zyperns wird ab 1. Mai alle Vorteile der EU-Mitgliedschaft genießen, der türkische Norden bleibt isoliert. Dafür ist die Türkei auf ihrem Weg in die EU ein Stück vorangekommen.

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Grenze auf der InselBild: AP


Während sich die griechischen Nachbarn im Süden in ein ängstliches "Nein" flüchteten, um Wohlstand und Sicherheit nicht aufs Spiel zu setzen, signalisiert das klare "Ja" der Türken im Norden Zyperns vor allem eines: den Willen zur Veränderung und zum Aufbruch aus einer eingeengten Lage des wirtschaftlichen und politischen Stillstandes. Die international nicht anerkannte Türkische Republik Nordzypern hängt wirtschaftlich am Tropf der Türkei.

Um die Auszahlung der Beamtengehälter zu garantieren, fließen jährlich umgerechnet knapp 170 Millionen Euro von Ankara dorthin. Das Bruttoinlandsprodukt beträgt nur etwa 4200 Euro pro Kopf - dagegen liegt der griechische Süden mit 18.500 Euro an der Spitze der zehn neuen EU-Mitglieder. Größte Geldquelle für die Nordzyprer ist der Tourismus. Doch aufgrund des internationalen Embargos nach dem Einmarsch der türkschen Armee 1974 können Urlauber derzeit nur aus der Türkei per Schiff oder Flugzeug einreisen.

Die EU wird sich nicht lumpen lassen

Genugtuung und heimliche Freude, dass erstmals in den Jahrzehnten des Zypernkonflikts nicht die Türken, sondern die Griechen den "Schwarzen Peter" in der Hand halten, sind in den Äußerungen türkischer Politiker und Medien unverkennbar. "Nach meiner Ansicht hat Südzypern verloren", sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. "Die griechische Seite hat die Teilung besiegelt", stand in türkischen Sonntagszeitungen zu lesen. Es sei bedauerlich, dass die türkischen Zyprer trotz ihres "Ja" nicht ab 1. Mai in den Genuss der EU-Mitgliedschaft kämen, erklärte auch UN-Generalsekretär Kofi Annan. Umso mehr hoffe er, dass es andere Wege geben werde, ihnen aus der unverschuldete Misere zu helfen.

Für die Übergangszeit dürfte die EU großzügige Übergangshilfen bewilligen. "Wir werden den Norden nicht im Regen stehen lassen", sagte ein Kommissionsvertreter. Aus Diplomatenkreisen hieß es, die für den Beitrittsfall vorgesehenen 259 Millionen Euro würden dennoch ausgezahlt. Zudem will die EU bekräftigen, dass die Grenze quer durch Zypern keine Außengrenze der EU ist. Die EU-Grundsätze des freien Personen- und Warenverkehrs sollen damit - ähnlich wie einst im Falle der DDR - auch für das vergleichsweise arme Nordzypern gelten, selbst wenn es noch kein Teil des EU-Binnenmarktes ist.

Türkei setzt Griechenland unter Druck

Auch, wenn aus der Wiedervereinigung Zyperns und dem gemeinsamen EU-Beitritt derzeit nichts wird, bereiten sich die türkischen Zyprer und das Mutterland Türkei darauf vor, die Früchte ihres Erfolges zu ernten. Zwar wird niemand ernsthaft davon ausgehen, dass jetzt der Türkischen Republik Nordzypern die bisher versagte internationale Anerkennung zuteil wird. Der türkische Ministerpräsident Erdogan und sein Außenminister Abdullah Gül erwarten dennoch ein Ende der "unverdienten" politischen und ökonomischen Isolierung Nordzyperns. Die Türkei verlangt außerdem die Zustimmung Griechenlands für eine Aufnahme von EU- Beitrittsverhandlungen, erklärte Erdogan in einem Interview mit der Athener Zeitung "Eleftherotypia". "Ich habe keinen Zweifel, dass die Vertiefung der Beziehungen zwischen unseren Staaten nicht durch die negative Stimme der griechischen Zyprer überschattet wird", so Erdogan.

EU-Beitrittsverhandlungen wahrscheinlich

Anders als die Vorgängerregierungen setzte sich der 2002 an die Macht gekommene türkische Ministerpräsident Erdogan vehement für eine Wiedervereinigung der Insel Zypern ein. "Die Türkei hat eine sehr konstruktive und kooperative Rolle in den Verhandlungen gespielt. Das möchte ich ausdrücklich anerkennen", lobte denn auch EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen Anfang April in Brüssel das Engagement. Die Zypernfrage bleibt weiterhin ein politischer Trumpf im Ärmel der Türkei – denn ein Erfolg würde die Türkei selbst dem erhofften Beitritt zur EU erheblich näher bringen. Falls die Türkei sich keine großen Fehler bei den angekündigten Reformen von Justiz und Menschenrechten erlaubt, gilt eine Absage an Verhandlungen zum Jahresende in EU-Kreisen inzwischen als ausgeschlossen. Pikantes Detail: Rein theoretisch haben jetzt die 700.000 Bewohner Griechisch-Zyperns das Veto-Recht gegen eine EU-Aufnahme der Türkei mit ihren 70 Millionen Einwohnern. (arn)