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Die Gewerkschaften suchen ihre Rolle

16. September 2010

Die Gewerkschaften in Deutschland wollen bei den anstehenden Tarifverhandlungen Härte zeigen. Forderungen nach einem "großen Schluck aus der Lohnpulle" werden lauter.

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Symbolbild Gehaltsabrechnung mit Münzen drauf (Foto: picture alliance)
Die Gewerkschaften wollem höhere LöhneBild: picture-alliance/Sven Simmon

Im Sommer wurde noch mal Gemeinsamkeit gezeigt: Der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes marschierte in die Frankfurter Zentrale der IG Metall und gab dort gemeinsam mit einem IG Metall-Vorstand eine Pressekonferenz. Die Botschaft der beiden: Die Banken sollten nicht reden, sondern handeln, sollten Kredite vergeben. Denn ohne sie könne es nichts werden, mit dem Umsatz nicht und mit der Beschäftigung auch nicht.

Inzwischen sind die Angst vor einer Kreditklemme verdrängt und der Aufschwung da. Der Maschinenbauverband verdoppelte seine Produktionsprognose für dieses Jahr von plus drei auf plus sechs Prozent. "Das ist nicht das letzte Zucken vor dem Exitus", sagte der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes, Hannes Hesse, dazu: "Das ist schon relativ stabil."

Die Verteilungskämpfe beginnen

Auch die Beschäftigung steigt wieder in dieser exportstarken deutschen Schlüsselindustrie. Wenn alles wieder läuft, geht die Zeit der Gemeinsamkeit von Unternehmern und Gewerkschaften, die Zeit der Krisenbewältigung, dem Ende zu. Jetzt beginnen wieder die Verteilungskämpfe, der Streit darum, wer welchen Anteil am absehbaren Erfolg bekommt. Den Anfang dieses Streits machte die IG Metall. Sie benutzte dazu die anstehenden Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. "Krise war gestern", sagte Oliver Burkhard, der dortige Bezirksleiter der IG Metall, und verlangte sechs Prozent mehr Lohn. Der Branche gehr es wieder deutlich besser. "Wir können uns allemal trauen, diese Lohnforderung zu stellen."

Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DEKA-Bank (Foto: picture alliance)
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DEKA-Bank, warnt vor überzogenen ForderungenBild: Ulrich Kater

Die Arbeitgeber lehnten die sechs Prozent rundweg ab. Auch Volkswirte mahnten, bei ersten Erfolgen den Bogen nicht zu überspannen. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, hält sechs Prozent mehr Lohn für die Stahlindustrie für überzogen, zumal die IG Metall sie durchaus als wegweisenden Abschluss auch für andere Metallindustrien ansieht: "Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten", sagte Kater. Sicher, die "die extreme Lohnzurückhaltung" aus den Krisenjahren 2008 und 2009 sei nicht mehr am Platze. Aber sechs Prozent seien "aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sicherlich überzogen."

Sorgenkind Mitgliederschwund

Doch die Gewerkschaften müssen wohl so deutlich in die Verhandlungen starten. Denn der Mitgliederentwicklung kam der Schmusekurs der Krisenjahre nicht zugute. Bei der IG Metall, der größten Industriegewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), sank die Mitgliederzahl voriges Jahr weiter auf knapp 2,3 Millionen. Das war ein Minus von 1,6 Prozent. Bei allen acht DGB-Gewerkschaften zusammen betrug der Mitgliederschwund 1,7 Prozent auf knapp 6,3 Millionen Menschen. 2008 sank die Zahl der Mitglieder nur um 1,1 Prozent: Es bestätigte sich, dass in Krisenzeiten Gewerkschaften nicht zu den Krisengewinnern gehören.

Immerhin ist noch genug Geld da. "Die IG Metall ist finanziell gut aufgestellt." Tiefer lässt der Kassenwart der IG Metall, Bertin Eichler, sich nicht in Bücher gucken. Aber er versicherte: "Wir sind jederzeit finanziell handlungsfähig."

Gewerkschaften auf Mitgliedersuche

Damit das auch so bleibe, sucht die Gewerkschaft nach neuen Mitgliedern. Sie spürt Betriebe ohne Betriebsbräte auf, um dort die Verhältnisse in ihrem Sinne zu ändern. Dass der Autozulieferer Schaeffler, bisher ein für die Gewerkschaft unerreichbarer Familienkonzern, sich in der Not auch bei der IG Metall rückversicherte, Hilfe holte und sich dafür der Mitbestimmung öffnete, war nur das spektakulärste Beispiel.

Detlef Wetzel, 2. Vorsitzender der IG Metall (Foto: Wetzel)
Detlef Wetzel von der IG Metall: gleiche Arbeit - gleiches GeldBild: Detlef Wetzel

Außerdem nahmen sich die Gewerkschaften der Zeitarbeiter an. Bei der IG Metall kümmerte sich der zweite Vorsitzende darum. Mindestarbeitsbedingungen zu regeln, das genüge ihm nicht, sagte Detlef Wetzel: "Wir möchten gerne "equal pay" – gleiche Arbeit, gleiches Geld – zur Wirklichkeit verhelfen. Und wir wollen die völlige Gleichstellung der Leiharbeiter mit den Stammbeschäftigten." Gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbelegschaften ist deshalb eine weitere Kernforderung der IG Metall zunächst in der Stahlindustrie. Der ganze DGB hat das aufgegriffen.

Es geht um viele Menschen: Im Sommer 2008 waren 823.000 Leiharbeiter in der deutschen Industrie beschäftigt. Mittlerweile dürften es fast wieder so viele sein: Alles potentielle Gewerkschaftsmitglieder. Deshalb kümmern sich die Gewerkschaften darum. Es geht ihr sicher um die Lebensverhältnisse der Menschen. Aber auch um die Zukunftsfähigkeit der Organisation.

Autor: Michael Braun

Redaktion: Monika Lohmüller