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Gewaltexzess kann kein Zufall sein

2. Februar 2012

Mehr als 70 Tote, rund tausend Verletzte. Das ist die blutige Bilanz der Ausschreitungen nach dem Fußballspiel im ägyptischen Port Said. Der Militärregierung passt die Gewaltorgie gut ins Konzept, meint Loay Mudhoon.

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Für den regierenden Militärrat in Ägypten sind die blutigen Zusammenstöße zwischen den Anhängern der Kairor Fussballclubs al-Ahly und al-Masry aus Port Said nur ein "tragisches Sportereignis". Doch viele Indizien deuten darauf hin, dass die Gewaltorgie in Port Said inszeniert worden ist. Den Militärs passt diese offene Gewalt der Fußballfans jedenfalls ins Konzept.

In den autoritär regierten arabischen Staaten sind Moscheen und Fußballstadien fast die einzigen Orte, an denen sich die Menschen relativ frei äußern können. Denn diese Institutionen entziehen sich der Kontrolle staatlicher Sicherheitsapparate. Und das dürfte der Grund sein, weshalb Fußballfans und Moscheebesucher eine zentrale Rolle bei den arabischen Aufständen spielen.

Fußball-Ultras gegen die Staatsmacht

So war es auch im Verlauf der ägyptischen Revolution: Hier kämpften die radikalen Fans des Fußball-Rekordmeisters al-Ahly aus Kairo an vorderster Front gegen das Mubarak-Regime. Diese sogenannten Ultras stellen die "Speerspitze der Revolution" dar, weil sie demonstrierten und sich auch schon in den Jahren vor der Revolution blutige Straßenschlachten mit der Polizei lieferten.

Loay Mudhoon, (Foto: DW)
Loay Mudhoon, Leiter des Internetportals 'qantara.de'Bild: DW

Und noch wichtiger: Genau vor einem Jahr, als Schlägertrupps des alten Regimes auf Kamelen den Tahrir-Platz stürmten, um die Massen zu verjagen, waren es eben diese kampferprobten Fußball-Ultras, die die friedlichen Tahrir-Demonstranten beschützten. Damit leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zum Sturz Mubaraks.

Doch trotz Mubaraks Abgang befinden sich die Fußball-Ultras des populärsten Fußballclubs Ägyptens weiterhin in einer bitteren Fehde mit den Sicherheitskräften, vor allem angesichts der massiven Gewalt gegen friedliche Demonstranten in den Monaten vor den Parlamentswahlen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht abwegig, wenn die meisten Menschen am Nil hinter dem Blutbad im Fußballstadion von Port Said einen Racheakt der Mubarak-Anhänger und ihrer Sympathisanten an den revolutionären Fußballfans vermuten.

Wer will Ägypten ins Chaos stürzen?

Gewiss, es besteht zwischen den beiden Fußballclubs aus Kairo und Port Said eine jahrelange Rivalität. Dennoch war es mehr als ein "tragisches Sportevent", das außer Kotrolle geriet. Das Ausmaß der Gewaltorgie und deren Begleitumstände lassen vermuten, dass diese entweder geplant war oder von den Verantwortlichen zumindest tatenlos geduldet wurde.

Denn wie ist zu erklären, dass weder der Sicherheitschef noch Port Saids Gouverneur anwesend waren? Und wie ist zu erklären, dass die 3000 anwesenden Polizisten nicht nur der regelrechten Menschenjagd auf Al-Ahly-Spieler und Fans zuschauten, sondern sogar die Stadiontore von außen öffneten? Dadurch konnte der wild gewordene Mob überhaupt erst ins Stadion stürmen.

Natürlich ist es schwer vorstellbar, dass der regierende Militärrat diesen Gewaltexzess "von oben" angeordert haben könnte. Doch es gilt festzuhalten, dass die ägyptischen Militärs bei der Gestaltung der Übergangsphase bislang planlos agieren und seit Monaten mit aller Macht versuchen, die revolutionären Kräften als Ursache für chaotische Verhältnisse und bewaffnete Überfälle im Lande zu diskreditieren.

Und bedenkt man, wie gespannt das Verhältnis der Fußballfans zur Militärregierung ist, lässt sich leicht behaupten, dass den Militärs diese offene Gewalt der Fußballfans gut ins Konzept passen dürfte. Denn die Generäle um Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi möchten sich trotz ihres offensichtlichen Versagens als die einzige Kraft präsentieren, die Stabilität am Nil garantieren kann.

Autor: Loay Mudhoon
Redaktion: Klaus Dahmann