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Gewalt im Flüchtlingsheim vor Gericht

Manasi Gopalakrishnan / kk20. August 2015

In Essen müssen sich fünf Wachleute eines Flüchtlingsheims verantworten, weil sie Bewohner misshandelt haben sollen. Der Prozess spiegelt auch Probleme, denen sich die deutsche Asylpolitik gegenübersieht.

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Erste Situng im Essener Amtsgericht zu den Gewaltvorwürfen im Flüchtlingheim (Foto: DW/Manasi Gopalakrishnan)
Bild: DW/M. Gopalakrishnan

Die Anklage wiegt schwer: Brutal sollen die Wachmänner eines Essener Flüchtlingsheims einen ihnen anvertrauten Bewohner geschlagen und getreten haben. Zum Anlass nahmen sie, dass der Mann außerhalb der normalen Essenszeiten nach einem Kaffee gefragt hatte. Dafür müssen sich die fünf Ordner jetzt vor dem Essener Amtsgericht verantworten.

"Mein Klient hatte in seinem Zimmer geraucht. Darum erhielt er die Anweisung, sich von dem Haus fernzuhalten. Dann beschloss er aber, einen Freund in einem benachbarten Zimmer aufzusuchen", erklärt Christina Worm. Sie ist Anwältin von Fouad B., einem der mutmaßlichen Opfer der Wachmänner.

"Plötzlich hörten die beiden ein lautes Geräusch hinter der Tür. Zuerst nahmen sie an, jemand wolle ihnen einen Streich spielen. Doch dann betraten die Wachmänner das Zimmer und führten sie auf äußerst brutale Weise aus dem Zimmer."

Auf die Fragen des Richters erklärten die Angeklagten, sie hätten keinerlei Gewalt gegen die Heimbewohner angewendet. Stattdessen beschuldigen sie sie, diese hätten sie mit Stühlen und Steinen beworfen. Außerdem hätten sie sie als "Rassisten und Faschisten" beschimpft.

Beschwerden auch aus anderen Flüchtlingsheimen

Der Essener Prozess ist der erste in einer ganzen Reihe von Gerichtsverfahren wegen Misshandlungsvorwürfen, die im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen bekannt wurden. Die Polizei veröffentlichte schockierende Fotos. Eines zeigt einen Wachmann, der einem Flüchtling den Fuß in den Nacken drückt.

Der Nebenkläger Fouad B. mit seiner Anwältin. 20.08.2015 (Foto: DW/Manasi Gopalakrishnan)
Der Nebenkläger Fouad B. mit seiner AnwältinBild: DW/M. Gopalakrishnan

"Viele Menschen verbinden diese Bildern mit jenen, die man aus Guantanamo kennt", erklärte ein damals mit den Ermittlungen beauftragter Polizist. Die Bilder aus einem Flüchtlingsheim in Burbach riefen Menschenrechtsaktivisten auf den Plan. Ihre Klagen führten dazu, dass ähnliche Beschwerden aus anderen Flüchtlingsheimen untersucht wurden.

Der Fall von Fouad B., einem 18-jährigen Marokkaner, wurde öffentlich, als die Essener Ratsfrau Anabel Jujol das Flüchtlingsheim besuchte. "Als ich dort war, fand gerade ein Treffen der Heimbewohner statt. So erfuhren wir von ihren Beschwerden", berichtet Jujol.

Die Bewohner hätten sich ihr auf Englisch anvertraut. "Die Wachleute schlagen uns und verweigern uns das Essen", hätten sie gesagt. Daraufhin hätte sie mit Kollegen dem Heim eine offizielle Visite angekündigt. "Aber es schien, als sei alles für unseren Besuch inszeniert worden."

Am nächsten Tag kam Jujol noch einmal vorbei und forderte die Bewohner auf, ihre Probleme zu schildern. Dabei habe sich ihr auch Fouad B. anvertraut. "Ich wurde behandelt wie ein räudiger Hund, das habe ich noch nie erlebt", habe er ihr gesagt.

Forderung nach neuen Unterkünften

Viele Flüchtlingsheime sind überfüllt. Allein im Juli seien 107.000 Flüchtlinge illegal in die Europäische Union gekommen, erklärt die EU-Grenzschutzorganisation Frontex. Ihr Direktor Klaus Rösler bezeichnete diese Entwicklung als "Notfallsituation für Europa" und forderte alle EU-Staaten auf, diejenigen Länder zu unterstützen, in denen die Flüchtlinge ankämen. Europäische Staaten richteten in den folgenden Monaten neue Flüchtlingsunterkünfte ein.

Die bedrängte Wohnsituation in den Heimen hat auch zu Problemen zwischen den Bewohnern geführt. So gerieten vor einigen Tagen Insassen eines Flüchtlingsheims im thüringischen Suhl aneinander, als ein Bewohner Seiten aus einem Koran-Exemplar riss.

Und Einwohner des Essener Stadtteils Frintrop beschuldigten einen Mann aus einem Flüchtlingsheim, ein junges Mädchen belästigt zu haben. Für Olaf Swillus, einen Anti-Rassismus-Aktivisten, sind diese Anschuldigungen aus der Luft gegriffen. Die Mehrheit der Essener Bürger geht auf die Flüchtlinge zu. "Es gibt ein hohes Maß an Hilfsbereitschaft", sagt Gabriele Laguidi vom Essener Anti-Rassismus-Telefon, das fremdenfeindliche Übergriffe aufzeichnet.

Immer wieder versuchten ausländerfeindliche Gruppen, ihre Anliegen zu verbreiten. Tatsächlich empfänden viele Menschen den Zustrom der Flüchtlinge, den Bedarf an immer neuen Unterkünften und die fremde Kultur der Migranten als Bedrohung. Doch das dürfe man nicht überbewerten, sagt Laguidi. "Es gibt immer Probleme, wenn Menschen zusammenkommen."