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Irakischer Dichter in Berlin

10. September 2009

In der arabischen Welt wird er seit den 60er Jahren als Autor geschätzt und gefeiert. In Deutschland, seiner Wahlheimat, ist er dagegen nahezu unbekannt. Ein Besuch bei dem irakischen Dichter Fadhil Al-Azzawi in Berlin.

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Portrait Schriftsteller Fadhil Al-Azzawi (Foto: DW)
Fadhil Al-Azzawi zählt zu einem der wichtigsten arabischen AutorenBild: Lewis Gropp

In der arabischen Welt ist Fadhil Al-Azzawi seit nahezu einem halben Jahrhundert eine feste Größe - damals begründete er mit einer Gruppe Avantgarde-Poeten eine neue Literatur. Mithilfe eines von ihm verfassten Manifests wollte er zum einen den Geist der Modernität in die irakische Literatur einführen; zum anderen forderte Al-Azzawi die Unabhängigkeit der Literatur von der Politik. Sie dürfe nicht zum Kniefall vor politischer Macht verkommen, sondern der Dichter müsse frei sein, so sein Credo. Die zunehmend repressive Politik der Baath-Partei machte es dem 1940 in Kirkuk geborenen Azzawi indessen unmöglich, weiter in seiner Heimat tätig zu sein. "Es ist sehr schwer für mich gewesen, als Schriftsteller im Irak zu leben und frei zu schreiben.", erklärt Al-Azzawi. Die einzige Möglichkeit sei damals für Schriftsteller gewesen, Propagandaliteratur zu produzieren. Er aber habe das nicht machen wollen, sagt der Autor.

Flucht in die Diktatur

Trümmer in Kirkuk (Foto: AP)
Al-Azzawis Heimatstadt Kirkuk ist vom Krieg gezeichnetBild: AP

Inspiriert von der englischsprachigen Literatur beabsichtigte Al-Azzawi ursprünglich, nach Großbritannien zu gehen. Doch dieser Weg blieb ihm verwehrt. Im Grunde gab es nur eine Möglichkeit, erklärt Al-Azzawi rückblickend: Zu der Zeit gab es einen Vertrag zwischen dem irakischen und Journalistenverband und dem Verband der DDR. Durch diesen Vertrag war es irakischen Journalisten möglich, in die DDR zu kommen, um dort zu studieren. "Also nutzte ich diese eine Möglichkeit", sagt Al-Azzawi. Die Verbindung zwischen dem sozialistischen Regime der Baath-Partei und der DDR-Führung war allerdings ausgesprochen gut - und so war das Exil für Al-Azzawi kein Ort der Freiheit, sondern ein Ort der indirekten Verfolgung. Die Stasi schleuste auch irakische Geheimdienstler ins Land, die den Autor in seiner damaligen Heimatstadt Leipzig observierten."Die Behörden in der DDR wollten nicht, dass ich weiter studiere. Sie haben mehrmals versucht, mich rauszuschmeißen", erzählt Azzawi und lacht. Die ganz harten Zeiten liegen für den freundlichen Mann schon mehrere Jahre zurück. Al-Azzawi hat also auch seine Erfahrungen mit dem Überwachungsstatt DDR gemacht, er hat in Leipzig promoviert und auch die Wende miterlebt. Über seine Zeit in der DDR hat der Iraker allerdings nie geschrieben. Dabei erkennt Al-Azzawi durchaus den dramatischen Gehalt dieser Epoche: Die Natur des Regimes würde ihn literarisch interessieren, erklärt er. Die alten Männer, die das ganze Volk terrorisierten, hätten mit ihrer "Naivität" und ihrem "intellektuell niedrigen Niveau" durchaus Qualitäten. "Vielleicht schreibe ich doch noch einmal darüber", sagt er und schaut nachdenklich ins Weite.

"The Last of the Angels"

Buchcover "The Last of the Angels" (Foto: DW)
"The last of the Angels" von Fadhil Al-Azzawi soll 2010 veröffentlicht werden

Obwohl Fadhil Al-Azzawi mehr als 30 Jahren in Deutschland verbracht hat, handeln seine Geschichten stets von seiner Heimat Kirkuk, im Norden des Iraks. Sein jüngster Roman, "The Last of the Angels", ist eine Mischung aus westlicher Moderne und mythisch-märchenhafter orientalischer Erzähltradition. Der Autor beschreibt die kulturelle Vielfalt des nördlichen Irak, wo Shiiten, Sunniten, Assyrer, Turkmenen, Armenier, Juden und Kurden zwar nicht konfliktfrei, aber doch mit dem Verständnis, einer Gemeinde anzugehören, miteinander leben.Nach der Erstveröffentlichung bei Cairo University Press wurde das große Verlagshaus Simon & Schuster auf diesen viel versprechenden Roman aufmerksam, erwarb die Rechte und publizierte Anfang des Jahres eine Neuauflage von sage und schreibe 200.000 Exemplaren. Und es sind nicht nur Literaturkritiker, die das Werk zu schätzen wissen, sondern auch die Leser. Es ist sehr selten, dass arabische Literatur im Westen solche Resonanz erfährt. Warum seine Bücher in einem Land mit einer so starken Literatur- und Übersetzertradition wie Deutschland noch nie veröffentlicht wurden, versteht Fadhil Al-Azzawi selbst nicht. "Ich versteh das nicht, ich lebe in Deutschland, in Berlin, aber ich bekomme nur sehr selten eine Einladung. Aber in den USA bin ich bekannt."

Durchbruch auch in der neuen Heimat?

Inzwischen hat der Züricher Amman Verlag die Rechte zu "The Last of the Angels" erworben. Der Roman soll dort im Frühjahrsprogramm 2010 erscheinen. Auch die Paperback-Lizenz für das Buch wurde bereits an einen großen deutschen Publikumsverlag verkauft. Obwohl die deutsche Kulturpolitik sich in den letzten Jahren verstärkt um die Vermittlung arabischer Literatur bemüht hat, kommt Fadhil Al-Azzawi literarisch also erst mit großer Verspätung in dem Land an, in dem er jetzt schon so lange lebt und dessen Staatsbürgerschaft er seit der Wende trägt. Wenn "The Last of the Angels" 2010 erscheint, wird "Literaturdeutschland" sich verwundert fragen, warum es so lange gedauert hat.

Autor: Lewis Gropp

Redaktion: Michaela Paul