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Geplatzte Träume

Alexander Kudascheff 17. Dezember 2003

Die Europäische Union (EU) erlebte am vergangenen Wochenende eine schwere Niederlage. Doch nicht nur die Verfassung ist gescheitert: Die EU in ihrer bisherigen Form dürfte ein Auslaufmodell sein.

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Es war ein bitteres Wochenende für die EU. Die großen Hoffnungen - zerplatzt. Die großen Träume - bestenfalls nur noch Illusionen. Und der Zusammenhalt - nur noch eine rhetorische Floskel. Es war von vornherein klar: Der Weg zu einer europäischen Verfassung - immerhin ein Schritt von historischen Ausmaßen - war schwierig, steinig und vom Absturz begleitet.

Aber, nachdem der Verfassungskonvent ein brauchbares Ergebnis vorgelegt hatte, nachdem von mehr als 100 Änderungswünschen rund 95 abgearbeitet worden waren, blieb zum Schluss eine einzige Streitfrage: Wie viel Macht soll jedes Land im europäischen Haus haben? Und da schieden sich die europäischen Geister sehr schnell - und es blieben die polnischen und spanischen Blockierer übrig. Sie beharrten auf dem Vertrag von Nizza., weil sie da besser weggekommen waren als ihnen zustand. Die Folge: Der Brüsseler Gipfel scheiterte.

Frauenwitze statt Druck im Kessel

Er scheiterte übrigens zuerst wegen der italienischen Ratspräsidentschaft. Denn Silvio Berlusconi, der wenn er will durchaus charmant sein kann, zeigt sich eher als italienischer Macho, der Frauenwitze hören wollte - denn als zielstrebiger, hinterlistiger, taktisch versierter Moderator. Statt den Druck im Kessel zu erhöhen, ließ er ihn in ergebnislosen Einzelgesprächen verpuffen.

Das Scheitern ist eine Niederlage für Berlusconi. Das Scheitern ist aber auch eine Niederlage für Polen und Spanien. Sie stehen als Sündenböcke da. Sie haben den "schwarzen Peter" in der Hand. Sie sind gebrandmarkt als die beiden Länder, die aus eigensinnigen Motiven heraus die Verfassung scheitern ließen. Und klar ist: Das europäische Gedächtnis ist lang. Und wenn es in einem Jahr oder ein bißchen später mit den Finanzverhandlungen losgeht - über den Sechs-Jahresturnus des europäischen Haushalts, werden sich gerade die Nettozahler an die polnisch-spanische Bockigkeit erinnern.

Kerneuropa als Konsequenz

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Milliarden nicht so reichlich in die Strukturfonds fließen werden wie es sich Warschau und Madrid erträumen, ist jedenfalls hoch. Es gibt aber noch mehr Opfer des Fiaskos von Brüssel. Zuerst die europäische Idee. Denn niemand war anscheinend in der Lage, den notorischen Nein-Sagern Polen und Spanien klar zu machen, dass Europa mehr ist als der eigene Vorteil.

Auch die Erweiterung sollte ja nicht nur ein fröhliches Ja zu den Brüsseler Geldtöpfen sein, sondern auch ein temperamentvolles Ja zur europäischen Einigungsidee. Davon war nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Und damit ist die EU insgesamt der Verlierer. Denn natürlich werden sich - mit einem gewissen zeitlichen Respektabstand - ein paar Länder auf den Weg machen zu einem Kerneuropa, zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten - und die anderen als losen Verbund einer Freihandelszone zurücklassen.

Methode als Flop

Und das ist - am Schnittpunkt der größer werdenden EU - ein dramatischer Rückschritt. Wobei sich übrigens zeigt: der Riss geht nicht durch Groß und Klein, nicht durch Alt und Neu, sondern durch die EU. Europa macht sich nach Brüssel also auf den Weg: zu einer neuen Selbstbestimmung, an deren Ende von der guten, alten EU wenig übrig bleiben wird. Im übrigen, eines hat der Showdown von Brüssel gezeigt: Die Regierungskonferenz ist als Methode auch gescheitert. Im Kreis von 25 bewegt sich Europa nicht mehr.