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Generalstreik à la Belge

Barbara Wesel 31. Mai 2016

Belgien streikt, doch nicht alle machen mit. Während die Wallonen gegen Premier Charles Michel protestieren, zeigen sich die Flandern weitgehend zufrieden. Droht dem Land eine neue Spaltung? Aus Brüssel Barbara Wesel.

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Belgien Brüssel Öffentlicher Dienst Streik (Bild: DW/ B. Wesel)
Bild: DW/B. Wesel

Schon am Dienstagmorgen meldete der Verkehrsfunk 200 Kilometer Stau auf den Autobahnen im Großraum Brüssel. Die gestressten Belgier kennen das: Bei schlechtem Wetter oder Streik verwandeln sich die Verkehrswege in einen riesigen Parkplatz. Und wenn ein Generalstreik im öffentlichen Dienst ausgerufen wird, sind die Eisenbahner auf jeden Fall dabei.

Die traditionell streikfreudigen Eisenbahner hatten in der vorigen Woche schon mal mit einem wilden Ausstand angefangen, um gegen Änderungen ihrer Arbeitsbedingungen zu protestieren. Wenn sie landesweit die Arbeit niederlegen, sind auch die grenzüberschreitenden Züge nach Köln, Paris oder Amsterdam betroffen.

Der junge Gewerkschaftsfunktionär Jordan C. ist Zugbegleiter. Die Zustände in den Zügen werden immer schlechter, klagt er, sie seien mangelhaft gewartet, die Toiletten dreckig, die Passagiere beklagten sich. Die staatlichen Zuschüsse für den Bahnverkehr würden immer mehr herunter gefahren. "Das hat doch auch mit der Qualität von öffentlichem Leben zu tun, dass die Züge in gutem Zustand sind häufig genug fahren", meint er.

Endstation Bahnhof

Belgien Bahnstreik (Bild: BELGA PHOTO KRISTOF VAN ACCOM)
Bitte nicht einsteigen: Auf belgischen Bahnhöfen stehen die Züge mal wieder stillBild: picture-alliance/dpa/K.v. Accom

Sein Freund ist Lokführer und findet, dass die Arbeitsbedingungen immer schlechter würden. Tatsächlich protestieren die Eisenbahner vor allem gegen die geplante Beschneidung von Ausgleichstagen, die ihnen für lange Schichten und Wochenarbeitszeiten noch zugestanden werden. Und dieser eher kleinteilige Streit bleibt seit Monaten ungelöst und unterbicht immer wieder den Bahnverkehr.

Ein Bus mit Lehrern wurde aus Limburg heran gefahren, andere sind aus Antwerpen gekommen. Sie stellen in dem Protestzug in Brüssel aus bis zu 10.000 Gewerkschaftern eine der stärksten Gruppen. Warum die Unzufriedenheit?

Ines F. und ihre Kollegin kritisieren, dass die Teilzeitregelungen für Ältere von der Regierung kurzerhand abgeschafft wurden. Auch würden die Klassen immer größer, und die Arbeit mit den Kindern sei mühsamer geworden. Aber beide räumen ein, dass das in anderen Ländern wohl genauso sei.

Bei ihnen richtet sich der Zorn vor allem gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre und eine gleichzeitige Absenkung der Pensionen um 20 Prozent. Und was sie vor allem ärgert: "Die Regierung redet nicht mit uns, sie verhandelt nicht mit den Gewerkschaften, sondern beschließt einfach etwas von oben herab," so die beiden Lehrerinnen.

Doch der Ausstand bei den Lehrern ist nicht landesweit, sogar in Brüssel wird an einigen Schulen gearbeitet, und insbesondere im flämisch sprechenden Landesteil sind nicht alle an dem Streik beteiligt.

Belgien Brüssel Öffentlicher Dienst Streik (Bild: DW/ B. Wesel)
Belgische Streikkultur: Lehrerinnen protestieren gegen Mehrarbeit und RentenkürzungenBild: DW/B. Wesel

Gefängniswärter auf den Barrikaden

Das Gefängnispersonal hingegen ist schon seit über vier Wochen im Ausstand. Die Regierung musste die ohnehin überlastete Polizei einsetzen, um die Haftanstalten zu sichern, in denen teilweise auch Verdächtige aus der belgischen Terrorszene sitzen.

Dirk N. hat Verständnis für den Streik der Aufseher: "Dem Sicherheitspersonal wird einfach die Luft angedrückt", die Regierung habe Zuschüsse für Ausrüstung und Uniformen gestrichen. Er arbeitet als Wachmann an einem Hubschrauberplatz der Polizei und meint, alle Kollegen seien wütend auf die Regierung. Die allgemeine Klage: Brüssel redet nicht mit uns.

Belgiens Justizminister Geens landete allerdings am Montag einen Coup. Vier der Gewerkschaften in den Gefängnissen haben sich mit der Regierung auf einen Kompromiss geeinigt, und das obwohl fast 95 Prozent der französisch-sprechenden Beschäftigten ihn abgelehnt hätten. Der frankophone Gewerkschaftsführer spricht von einem "Dolchstoß".

Belgien Brüssel Öffentlicher Dienst Streik (Bild: DW/ B. Wesel)
Mangelnde Wertschätzung: Viele Wachleute fühlen sich diskriminiert und ausgebeutetBild: DW/B. Wesel

Streiks spalten das Land

Manche sehen bereits eine neue Regierungskrise in Belgien herauf ziehen. Tatsächlich ist die Unterstützung für die Streiks in Flandern weitaus schwächer als in der französisch-sprechenden Wallonie.

"Es gibt ein Durcheinander bei den Gewerkschaften und ihren Zielen", erklärt der Politikchef der Zeitung "Le soir". "Die frankophone CGSP, die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, will die Regierung von Charles Michel stürzen. Aber der flämische Teil will das überhaupt nicht", sagt Bernard Demonty. Auch er beklagt den fehlenden Dialog und die Sprachlosigkeit der Regierung: "Es gibt einen Mangel beim Zuhören", sagt Demonty.

Premier Charles Michel zieht eine ganz andere Bilanz. Er hat trotz aller Probleme einige Erfolge vorzuzeigen: Die Arbeitslosenquote liegt mit 8,6 Prozent unter dem EU-Durchschnitt, die teuren Sozialbeiträge fallen, ebenso die Steuersätze für Arbeitnehmer. Es gibt nur ein Problem: Die wirtschaftlichen Erfolge der Reformpolitik kommen vor allem in Flandern an, die Wallonie bleibt abgehängt.