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Gemischte Reaktionen in der Türkei

Tom Stevenson, Istanbul / lb21. Juli 2016

Die türkische Regierung hat für drei Monate den Ausnahmezustand in der Türkei verhängt. Das erlaubt Präsident Erdogan, per Dekret zu regieren und das Parlament zu umgehen. Tom Stevenson aus Istanbul.

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Türkei, Ankara, AKP-Anhänger: Jubel nach Putschversuch (Foto: DW/Cupolo)
Bild: DW/D. Cupolo

Viereinhalb Stunden tagte der Nationale Sicherheitsrat unter dem Vorsitz des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch. Im Anschluss verkündete Erdogan den Ausnahmezustand für die kommenden drei Monate.

Seit dem Putschversuch am 15. Juli greifen die Behörden hart gegen die Putschisten durch. Bis jetzt sind mehr als 8.000 Personen verhaftet worden, die Regierung hat Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt. Zwar hat sie knapp den Staatsstreich verhindern können, doch dafür hat sie einen Ausnahmezustand zurück ins Leben gerufen, den die türkische Militärherrschaft 1983 gesetzlich verankert hatte.

Nach der Niederschlagung des Putsches bekam die Regierung viel Unterstützung aus der Bevölkerung, doch der Ausnahmezustand hat einen bitteren Geschmack hinterlassen. "Natürlich musste die Regierung nach dem Putschversuch handeln", erklärt Gurkan Aydemir, der ein Café im Beyoglu-Bezirk in Istanbul betreibt. "Aber ich fürchte, dass die Regierung vielleicht zu weit gehen könnte. Ich mache mir ernsthafte Sorgen." Der Ausnahmezustand erlaubt der Regierung, per Dekret zu regieren und damit das Parlament zu umgehen. Viele Türken sind beunruhigt und fürchten, dass die regierende AKP den Putschversuch nutzen wird, um die Opposition mundtot zu machen.

AKP-Anhänger in Ankara jubeln, nachdem der Putsch niedergeschlagen ist (Foto: DW/Cupolo)
Nach der Niederschlagung des Putsches: Jubelnde AKP-Anhänger in AnkaraBild: DW/D. Cupolo

Alltag soll sich nicht ändern

Regierungsvertreter vergleichen den Ausnahmezustand in der Türkei mit denen in Frankreich und Belgien nach den Terrorangriffen. Auch in der Türkei dürften die Behörden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek, der als gemäßigtes Kabinettsmitglied gilt, versicherte der Bevölkerung, dass der Ausnahmezustand sich nicht auf ihr Leben auswirken werde.

"Diese Maßnahme soll lediglich die Drahtzieher zur Rechenschaft ziehen und sicherstellen, dass alle, die am Putschversuch beteiligt waren, identifiziert und schnellstmöglich verurteilt werden können", sagte Simsek. "Diejenigen, die nichts mit dem Putsch zu tun hatten, haben auch nichts zu befürchten. Der Alltag der Bürger wird sich nicht ändern."

Präsident Recep Tayyip Erdogan zieht auch in Betracht, die Todesstrafe wieder einzuführen. Sie war 2004 abgeschafft worden - eine Bedingung für Beitrittsgespräche mit der EU.

Erinnerung an Militärherrschaft

Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass im Westen der Türkei der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Nach drei Monaten könnte er verlängert werden. "Das ist ein Überbleibsel aus der Militärdiktatur der 1980er Jahre", erklärt Andrew Gardner, der für Amnesty International in der Türkei arbeitet. Gardner betont, dass Grundrechte und Grundfreiheiten im Artikel 15 der türkischen Verfassung verankert seien, auch im Fall des Ausnahmezustandes. Allerdings sei nicht garantiert, dass die Regierung sich auch daran halten werde.

Türkische Soldaten am Taksim Platz: Proteste auf den Straßen (Foto: picture-alliance/dpa)
Versuchter Staatsstreich: Putschende Soldaten und Demonstranten stehen sich gegenüberBild: picture-alliance/dpa/U.O.Simsek/

"Das könnte der Beginn eines restriktiveren Kurses der Regierung sein. Bereits jetzt stellen einige Schritte der Regierung die Rechtsstaatlichkeit in Frage." Zum Beispiel, dass sie 15.000 Mitarbeiter des Bildungsministeriums, mehr als 2.500 Richter und hunderte Beamte suspendiert hat, gegen die jetzt ermittelt wird. Die Regierung hat auch die Dekane aller türkischen Universitäten aufgefordert, vorübergehend zurückgetreten.

"Der Putschversuch war erschreckend gewaltsam, die Regierung musste also schnell handeln. Allerdings erinnert die jetzige Situation stark an die frühere Militärherrschaft in der Türkei, und das, obwohl die türkische Regierung doch eigentlich die Militärherrschaft verhindert hat", so Gardner. Er resümiert: "Die Türkei steuert derzeit in eine düstere Richtung, nicht nur wegen des gescheiterten Putsches, sondern auch nach dessen Niederschlagung. Die Entscheidungen, die in den vergangenen Tagen getroffen worden sind, schaffen Probleme, die uns noch lange Zeit beschäftigen werden."