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Gemischte Gefühle in Brüssel nach der NRW-Wahl

Bernd Riegert, Brüssel23. Mai 2005

Das bei der Abstimmung in NRW verursachte politische Erdbeben hat die EU erreicht. Vorgezogene Bundestagswahlen haben auch Auswirkungen in Brüssel. Der EU-Beitritt der Türkei steht beispielsweise wieder in Frage.

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Kein guter Tag für den KanzlerBild: dpa

Die überraschend angekündigten Neuwahlen in Deutschland lassen die Europäische Union (EU) in eine Art Schockstarre fallen. "Rien ne va plus" - nichts geht mehr - wird es jetzt mindestens bis zum Wahltermin heißen. Weitreichende Entscheidungen wird sich die rot-grüne Bundesregierung, die ja das größte Mitgliedsland in Brüssel vertritt, vermutlich verkneifen.

Neuwahlen machen die Sache nicht einfacher

Eine Lösung des bitteren Streits über den EU-Haushaltsrahmen bis 2013 und den deutschen Nettobeitrag scheint ausgeschlossen. Am NRW-Wahltag, dem Sonntagabend (22.5.2005), gab es bei einem Treffen der Außenminister in Brüssel keine Annäherung zwischen Nettozahlern und Empfängerländern. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte nur kurz, Neuwahlen in Deutschland machten die Sache nicht gerade einfacher. Das dürfte eine kräftige Untertreibung sein, denn Deutschland besteht kategorisch auf einer Deckelung des EU-Haushalts bei einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU.

EU-Haushaltskommissarin Dalia Grybauskaite meinte, auch Regierungen im Vorwahlkampf müssten an ihre europäische Verantwortung denken. Die Chancen für einen Kompromiss könnten schlechter aber auch besser werden.

EU-Themen im Bundestags-Wahlkampf

Vermutlich werden EU-Themen in den Bundestags-Wahlkampf mit hineinspielen, etwa die Furcht der deutschen Arbeitnehmer vor Konkurrenz aus osteuropäischen Billiglohn-Ländern. Die Diskussion um die Richtlinien, die Dienstleistungsfreiheit und Arbeitszeiten in der EU regeln sollen, werden heftiger werden.

Ein möglicher Regierungswechsel in Deutschland hätte vermutlich Konsequenzen für die EU-Bewerbung der Türkei. Am 3.Oktober 2005 sollen Beitrittsverhandlungen beginnen. Doch die Konservativen in Deutschland und die mögliche nächste Bundeskanzlerin, Angela Merkel, sind erklärte Gegner eines Türkei-Beitritts. Die bayerische CSU hatte bereits angekündigt die Türkei im Wahlkampf thematisieren zu wollen, als der Wahltermin noch im September 2006 lag.

Kann der Kanzler der EU-Verfassung noch nützen

Am Donnerstag soll Bundeskanzler Gerhard Schröder noch einmal Wahlkampf machen, und zwar in Toulouse für ein "Ja" der Franzosen zur EU-Verfassung in der Volksabstimmung am Sonntag (29.5.). Ob der Auftritt des angeschlagenen Sozialdemokraten der in Umfragen zurückliegenden Ja-Kampagne wirklich nützen würde, wird in Frankreich bereits bezweifelt. EU-Diplomaten befürchten, dass eine Ablehnung der Verfassung in Frankreich und/oder den Niederlanden am 1. Juni kombiniert mit dem Wahlkampf in Deutschland zu einer totalen Lähmung der EU führen könnte.

Einen möglichen Regierungswechsel in Berlin würde der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen politisch wahrscheinlich überleben, obwohl er der SPD angehört. Die EU-Kommissare amtieren traditionell fünf Jahre, auch wenn zu Hause die politischen Farben wechseln.

Bundesminister hatten besseres zutun

Frohlocken könnte die konservative Fraktion im Europaparlament. Sie wird vom CDU-Politiker Gerd Pöttering geführt. Durch einen möglichen Wahlsieg der Konservativen im Herbst würde das Gewicht des Mitte-Rechts-Lagers in der EU-Hauptstadt enorm zunehmen. Dass in Berlin Krisenstimmung herrscht, merkt man in Brüssel schon daran, dass die Bundesminister, die am Montag (23.5.) an Ministerräten hätten teilnehmen sollen, vorsorglich Zuhause geblieben sind. Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) und der grüne Außenminister Joschka Fischer haben an diesem Montag Wichtigeres zu tun.