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Licht und Schatten beim Flüchtlingsdeal

Bernd Riegert20. April 2016

Es kommen weniger Flüchtlinge in Griechenland an, aber Abschiebung in die Türkei und Umsiedlung in die EU gehen nicht voran. Die Mitgliedsstaaten müssten mehr tun, verlangt die EU-Kommission. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Brüssel Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Migration
Bild: DW/B. Riegert

Einen Monat nach dem Gipfeltreffen der EU und der Türkei zur Flüchtlingskrise hat EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos versucht, eine positive Bilanz zu ziehen. Die Zahl der Migranten, die die Überfahrt aus der Türkei auf die griechischen Inseln wagen, ist "signifikant" gefallen. "Wir sind dabei, den Schleusern ihr Geschäftsmodell wegzunehmen", sagte der EU-Kommissar für Migration in Brüssel. Seit dem 20. März, als der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei in Kraft trat, sind die Zahlen tatsächlich drastisch gesunken. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex kamen im Februar in Griechenland noch 56 000 Flüchtlinge und Zuwanderer an. In den letzten vier Wochen waren es nur noch 7 800.

Griechenland Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Foto: Bernd Riegert
Bewachtes Flüchtlingslager Moria auf Lesbos: Asylanträge im SchnellverfahrenBild: DW/B. Riegert

Diese 7 800 Menschen ließen sich offenbar nicht davon abschrecken, dass die EU und die Türkei vereinbart haben, dass sie alle nach Prüfung eines eventuellen Asylantrages wieder von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgeschoben werden. Tatsächlich von Griechenland in die Türkei zurückgebracht wurden allerdings bislang nur 325. Darauf angesprochen, dass bei weiteren Ankünften und wenigen Abschiebungen in den Lagern auf den griechischen Inseln ein "Rückstau" entstehe, meinte EU-Migrationskommissar Avramopoulos, das sehe er nicht so. "Wir stehen immer noch ganz am Anfang der Arbeit", so Avramopoulos.

Erste Asylverfahren sollen anlaufen

Noch haben die Asylverfahren für die mehreren Tausend Bewerber in den Lagern noch gar nicht richtig begonnen. Nach Angaben eines Sprechers der Europäischen Asylagentur EASO auf Lesbos liefen die Verfahren jetzt an und sollten inklusive einer gerichtlichen Berufungsinstanz 14 Tage dauern. So stehe es zumindest im griechischen Gesetz. Das für die Asylverfahren und die Abschiebungen in die Türkei benötigte Personal aus anderen EU-Staaten ist vor Ort nur zu einem kleinen Teil eingetroffen. Von den 470 Asyl-Beamten, die die Asylagentur EASO angefordert hat, sind erst 63 im Einsatz. Von den 1500 zusätzlichen Polizisten, die die Grenzschutzagentur Frontex benötigt, sind vier Wochen nach dem Flüchtlingsgipfel 318 Beamte in Griechenland stationiert. Die Asylagentur EASO weist auf einen Engpass hin. Alle rechtskräftigen Entscheidungen müssen von einem griechischen Beamten getroffen werden. Die Kollegen aus Deutschland, Finnland oder anderen EU-Staaten könnten nur beraten.

Griechenland Lesbos Erster Rückführungstransport von Migranten in die Türkei. Foto: Pannagiotis Kouparanis
Abschiebungen in die Türkei: Bislang nur für Migranten, die kein Asyl verlangt habenBild: DW/P. Kouparanis

"Bedinungen müssen verbessert werden"

Zahlreiche Hilfsorganisationen, die Vereinten Nationen und auch der Europarat in Straßburg, Wächter der Menschenrechte in den europäischen Mitgliedsstaaten, sehen den Pakt zwischen der EU und der Türkei nach wie vor kritisch. "Die Türkei hat uns versichert, dass die Schutzbedürftigkeit aller abgeschobenen Migranten berücksichtigt wird. Ein Grundprinzip ist, dass es keine Massenabschiebungen geben darf", sagte Dimitris Avramopoulos, der zuständige EU-Kommissar in Brüssel. Auch Avramopoulos gesteht ein, dass "die Bedingungen auf den Inseln verbessert werden müssen." Auf Lesbos internierte Flüchtlinge hatten der DW geschildert, dass die Zustände in den überfüllten Lagern menschenunwürdig seien. Die Menschenrechts-Organisation "amnesty international" hatte vergangene Woche scharfe Kritik an der Versorgung der Flüchtlinge und mangelndem Zugang zu rechtlichem Beistand geübt.

Umsiedlungen finden nicht statt

Für die rund 70 000 Flüchtlinge und Migranten, die nach dem Schließen der Balkanroute und vor dem Inkrafttreten des Rückführungsabkommens mit der Türkei in Griechenland angekommen sind, zeichnet sich noch keine Lösung ab. Die EU-Kommission glaubt, dass 70 Prozent dieser "Altfälle" eigentlich von Griechenland in andere EU-Staaten umverteilt werden müssten. Doch die Mitgliedsstaaten machten dazu keine Anstalten, beklagte EU-Kommissar Avramopoulos wieder einmal. "Jeden Monat wären 6000 Umsiedlungen nötig. Davon sind wir weit entfernt." Die Menschen im wilden Lager von Idomeni an der mazedonisch-griechischen Grenze rief Avramopoulos auf, in bessere Lager umzuziehen. Sie sollten nicht mehr irgendwelchen Schleppern trauen, die ihnen einreden wollten, die Grenze und die Balkanroute nach Mitteleuropa würden irgendwann wieder geöffnet.

Griechenland Flüchtlinge in Idomeni. Foto: DW,S.Amri
Für viele bleibt nur warten: eine Lösung für das Lager in Idomeni ist noch nicht gefundenBild: DW/S. Amri

Visafreie Reise für Türken in die EU noch offen

Am 04. Mai will die EU-Kommission bekannt geben, ob die Türkei die Voraussetzungen für Visa-freien Reiseverkehr erfüllt. Drohungen des türkischen Ministerpräsidenten Ahmed Davutoglu, die Türkei werde den Flüchtlings-Deal aufkündigen, falls die Visa-Pflicht nicht falle, wies Dimitris Avramopoulos zurück. "Ich empfinde diese Äußerungen nicht als Drohungen. Es ist nicht so, dass wir die Türkei mehr brauchen als umgekehrt. Lassen sie uns sagen, die EU und die Türkei brauchen einander gleich stark." Gegen eine Einreise von Türken ohne Visum in die EU gibt es allerdings noch Vorgehalte in einigen Mitgliedsstaaten und im Europäischen Parlament. Insgesamt muss die Türkei 72 Kriterien erfüllen. Wie viele davon heute bereits erfüllt werden, wollte der zuständige EU-Kommissar auch auf Nachfrage hin nicht sagen.

Visafreies Reisen für Ukrainer rückt näher

Gute Nachrichten hatte Avramopolous am Dienstag in Brüssel für die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine. Die Ukraine habe jetzt alle Bedingungen für eine Aufhebung der Visa-Pflicht erfüllt, gab Avromopoulos bekannt. Nun müssten die Innenminister und das Europäische Parlament noch zustimmen. Dann könnte die Einreise von Ukrainern in die EU "in einigen Wochen" ohne Sichtvermerk Wirklichkeit werden, sofern sie einen biometrischen Reisepass vorweisen könnten.