1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gemeinsam aus der Krise? - Die Zukunft der europäischen Finanzpolitik

2. Juni 2009

Die Europawahlen stehen im Zeichen der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise. Noch ist völlig ungewiss, wie und wann die Krise überwunden wird.

https://p.dw.com/p/I2AV
Symbolbild Europa und die Krise
Bild: picture-alliance / Helga Lade Fotoagentur GmbH

Was waren das noch für Zeiten, in denen als Haushaltssünder galt, wer auch nur 0,1 Prozent mehr neue Schulden machte, als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von solchen Zahlen können die meisten Staaten mittlerweile nur noch träumen. In diesem Jahr werden nach Prognose der EU wohl 20 der 27 Mitgliedstaaten neue Schulden machen, die weitaus höher liegen.

Auch Deutschland wird wieder zum Haushaltssünder. Für Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ist das allerdings keine Überraschung, denn eine solche Rezession habe Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Deshalb sei "die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir in diesem Jahr ein Minuswachstum von sechs Prozent haben werden". Auch 2010 soll die Konjunktur weiter schrumpfen.

Das heißt, der Staat nimmt weniger Steuern ein, muss aber mehr Geld zur Unterstützung der wachsenden Zahl der Arbeitslosen und zur Stützung der Konjunktur ausgeben. Nicht zu vergessen sind die milliardenschweren Geldspritzen für die Banken.

Deutschland liegt drüber

Der Wirtschaftswissenschaftler Kai Carstensen vom Münchener Ifo-Institut prognostizierte für Deutschland bereits im Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für das Jahr 2009 eine Defizitquote von 3,7 Prozent. "Aufgrund weiter rückläufiger Produktion und steigender Arbeitslosigkeit erwarten die Institute für das kommende Jahr einen Fehlbetrag von 133 Milliarden Euro und eine Defizitquote von 5,5 Prozent," sagt Carstensen weiter.

Die EU-Kommission geht sogar von einem noch höheren Defizit aus. Allerdings, so betont der Bundesfinanzminister immer wieder, geschehe das praktisch mit dem Segen aus Brüssel. Mindereinnahmen und Mehrausgaben müssten in der derzeitigen Rezession nicht ausgeglichen werden. In der Fachsprache heißt das, man lässt die automatischen Stabilisatoren wirken.

Erst die Krise, dann die Schulden

"Also es addiert sich einiges auf, um das Leben der Bürgerinnen und Bürger etwas leichter zu machen oder aber die Belastung der Unternehmen abzusichern," sagt der Bundesfinanzminister. Doch was sich da addiert, muss in den kommenden Jahren wieder abgebaut werden. Das fordert der Wachstums- und Stabilitätspakt der Europäischen Union, wenn auch nicht wenige Staats- und Regierungschefs ihn in diesen Zeiten gerne suspendieren würden. Doch das wird nicht durchzusetzen sein, und so muss die Budgetdisziplin früher oder später eingeklagt werden.

Da vor Wahlen über Schuldenabbau und Sparpolitik allerdings ungern konkret gesprochen wird, besteht Konsens bislang nur darin, dass erst einmal die Wirtschaftskrise bewältigt werden muss. Denn nur ein Aufschwung kann wieder frisches Geld in die leeren Staatskassen spülen.

"Nur die Unternehmen werden es schaffen"

In dieser Situation wittert die deutsche Wirtschaft Morgenluft. Wenn man Industrie und Handel das Leben weiter erleichtern würde, dann würde die Konjunktur vielleicht schneller wieder anspringen - sagt beispielsweise der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel. Es sei widersinnig, die Unternehmen einerseits durch unnötige Gesetze und Vorschriften etwa in der Umwelt- oder Beschäftigungspolitik zusätzlich zu belasten, um sie andererseits mit öffentlichen Geldern aus Konjunkturprogrammen wieder zu unterstützen. "Nur die Unternehmen mit ihren vielen Millionen Beschäftigten werden es schaffen, Deutschland und Europa aus der Krise heraus und wieder nach vorn zu bringen. Die Politik und noch so viel öffentliches Geld werden es nicht schaffen."

Doch selbst mit einer frühzeitig anspringenden Konjunktur werden sich die in diesem und im nächsten Jahr explosionsartig steigenden Schuldenberge wohl nicht so schnell abbauen lassen. Konsolidierungszeiträume von fünf bis zehn Jahren werden derzeit nicht ausgeschlossen. Und ob das Regelwerk des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes den Folgen der Krise überhaupt gerecht werden kann, ist auch unklar. Schließlich gingen die Väter und Mütter des Paktes von Defiziten aus, die vielleicht 4 oder 5 Prozent erreichen könnten. In Irland soll die Neuverschuldung im kommenden Jahr mehr als 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen, in Spanien fast 10 Prozent. Wie damit umgegangen werden soll, weiß derzeit noch niemand.

Autorin: Sabine Kinkartz

Redaktion: Kay-Alexander Scholz